„Ah, Lektorin! Da lesen Sie bestimmt den ganzen Tag, oder? Und sonst?“ Lektoren sind die unbekannte Größe des Literaturbetriebs, wer sie sind, was sie tun, man weiß es nicht so genau, und den meisten Kolleginnen und Kollegen dürfte das auch ganz recht sein. Sie fühlen sich im Backstagebereich sehr wohl und überlassen das Rampenlicht gern den Autorinnen und Autoren, manchmal auch dem Verleger. Es gehört zur Jobbeschreibung, sich in den Dienst anderer zu stellen. Schließlich wählt man diesen Beruf nicht unbedingt aus Geltungsdrang, wobei man sich Lektorinnen (die meisten sind ja Frauen) auch nicht zu zurückhaltend vorstellen darf. Will man die Stimmen anderer zu Gehör bringen, sollte man die eigene gut zu gebrauchen wissen.
Und warum jetzt diese neue Kolumne? Wo doch gerade demütig versichert wurde, das Wort vorrangig zum Wohle anderer zu erheben, die Tastatur nur im Namen anderer, Berufenerer zu bedienen? Nun ja. Wer ist schon gänzlich frei von Eitelkeit? Das ist ein guter Grund, aber nicht der interessanteste. Vielleicht ist es dieser: Über die Tische der Lektorinnen und Lektoren geht, was später in Buchform veröffentlicht wird. Oder auch nicht. Das mag man begrüßen oder beklagen, solange es Verlage gibt, wird es wohl so bleiben. Jemand muss die Auswahl aus der Fülle der Manuskriptangebote treffen und das Ausgewählte dann gemeinsam mit seinem Urheber in die bestmögliche Form bringen. Die Bedingungen, unter denen dieses Auswählen und Verfeinern geschieht, sind ebenso im Wandel wie die Gesellschaft insgesamt, und hinter jeder Entscheidung – sei es für ein Buchprojekt, ein Autorenfoto oder eine Titelformulierung – steht ein Individuum, das versucht, im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz die Ideallinie zu finden und die Interessen von Autor und Verlag miteinander in Einklang zu bringen (gerne so, dass es – in aller Bescheidenheit – auch dem eigenen Fortkommen dient).
Was diese Individuen, die Lektorinnen und Lektoren also, dabei beschäftigt und bewegt, was sie überhaupt den ganzen Tag tun (Achtung, Spoiler: Lesen allein ist es nicht), soll Gegenstand dieser Kolumne sein, in der Kolleginnen und Kollegen aus kleinen und großen Verlagen von all dem erzählen, was vor der Buchpremiere geschieht. (Buchpremieren wären auch ein gutes Kolumnenthema: Wer bekommt eine, warum sind sie wichtig – sind sie es? –, und wie erkläre ich meinem Autor, dass es diesmal leider kein Budget … ein andermal!) Die Bühne soll diesmal Petra Gropp gehören, die auf der diesjährigen Lektorenkonferenz im Berliner Literaturhaus die Tätigkeit der Lektorin in 13 Thesen vorgestellt hat, die wir in leicht ergänzter Form hier abdrucken. Ein Letztes noch: Der Kolumnentitel „Unverlangt eingesandt“ verdankt sich der internen Bezeichnung für Manus-
kripte, die den Verlag unaufgefordert erreichen, und er klingt schroffer als gemeint. Na gut, das stimmt nur halb. Es sind zu viele Texte, um sich über jeden zu freuen, und die wenigsten eignen sich zur Veröffentlichung. Aber jede Einreichung steht auch für die Hoffnung, dass vielleicht jemand zuhört, dass das Signal empfangen und bestätigt wird. Das hat, wenn man es recht bedenkt, etwas Anrührendes. Im Alltag ist für diese Art Nachdenklichkeit zwar wenig Platz, aber ohne den entmutigend hohen Stapel beziehungsweise übervollen Mail-Eingang würde im Verlag etwas fehlen. Und ab und an ist ja auch eine Perle dabei.