Kindheit in der Psychiatrie

Der Burgschauspieler Joachim Meyerhoff setzt sein autobiografisches Erzählprojekt fort und dreht die Schrauben des Tragischen enger. Von Christoph Schröder

Online seit: 23. Mai 2022

Die Weihnachtsfeste in Josses Kindheit waren ein Gang durch die Stationen: A-Unten, J-Mitte, B-Oben. Überall gab es Torte und Cola, immer wieder. „Eigentlich“, so schreibt Joachim Meyerhoff, „habe ich jedes Weihnachten gekotzt und dann die ganze Nacht von der Cola aufgeputscht mit bummerndem Herzen bis in die Morgenstunden manisch Legosteine zusammengebaut.“ Die Welt ist ein Irrenhaus. Und für Joachim Meyerhoffs furiosen zweiten Roman, den er nun einem nicht weniger furiosen ersten hat folgen lassen, gilt das in besonderem Maße, denn Joachim alias Josse, der Ich-Erzähler, wächst auf dem Gelände der Jugendpsychiatrie von Schleswig auf. Der Vater ist der Direktor; das Wohnhaus der Familie steht im Zentrum des Anstaltsgeländes. Und die Stationen, die Josse am Weihnachtsabend Jahr für Jahr durchläuft, sind die Stationen, auf denen die psychisch Kranken leben.

Der Schauspieler Joachim Meyerhoff, Jahrgang 1967, begann im Jahr 2007 am Wiener Burgtheater unter dem Titel Alle Toten fliegen hoch, dem Publikum sein Leben zu erzählen, mit überwältigendem Erfolg. Vor zwei Jahren erschien der erste Teil, in dem Meyerhoff von seinem einjährigen Aufenthalt als Austauschschüler in den USA berichtete, in Buchform. Eine Amerikaerfahrung der etwas anderen Art: Laramie, Wyoming. Noch nicht einmal die größte Stadt in einem auf der Landkarte leeren, streng rechteckigen Staat, der von zwei blauen Straßenlinien durchkreuzt wird. So groß wie England, bevölkert von 500.000 Menschen. Ein Zuhause bei einer Familie mit Topffrisuren und Cordanzügen.