Der allerletzte Ritter

Oder: Die Kränkungen des Richard Schaukal. Aus der Serie „Zu Recht vergessen“. Von Harald Gschwandtner

Online seit: 8. August 2024

„Ich erkläre unser Verhältnis für dringend ruhebedürftig und schlage vor, daß wir einander vorläufig vergessen.“
– Thomas Mann an Richard Schaukal

Man darf sich Richard Schaukal als einen unglücklichen Menschen vorstellen. Zeitlebens fühlte er sich verkannt und unterschätzt. An der Literatur des 19. Jahrhunderts geschult, sah er das „Niveau des deutschen Schrifttums“ stets im Niedergang begriffen, beklagte den unverdienten Erfolg anderer Autoren und geriet am Ende in eine Art Fundamentalopposition zur „verhaßten Gegenwart“. Doch wie kam es dazu, dass Schaukal, der als vielversprechendes Talent galt und mit dem Who’s Who der literarischen Moderne korrespondierte, heute vielen als zu Recht vergessener Misanthrop gilt?

Richard Schaukal wurde 1874 im mährischen Brünn geboren. Schon als Gymnasiast zeigte er literarische Ambitionen, 1893 erschien ein erstes Buch mit Gedichten, das der gleichaltrige Karl Kraus rezensierte und dem Schaukal – parallel zu einem Jus-Studium in Wien – rasch weitere lyrische Bände folgen ließ. Daneben veröffentlichte er Feuilletons, Essays und Kritiken in angesehenen Zeitschriften und knüpfte Beziehungen im literarischen Feld. „Ein wohlerzogener, netter Mensch“, notierte Marie von Ebner-Eschenbach nach einer Begegnung mit dem jungen Schaukal in Mährisch-Weißkirchen, wo er 1899 nach vollendetem Studium eine Stelle im Staatsdienst angetreten hatte. Er sei „wirklich begabt, nur unglaublich unreif“: „Trotzdem macht er sehr hübsche Gedichte und schreibt sehr gute Kritiken.“

Der edle Wein großer Gedichte
Mit diesen „hübschen“ Gedichten hatte Schaukal gleichwohl einige Aufmerksamkeit erregt. Der Band Meine Gärten erschien 1897 im Berliner Verlag Schuster & Loeffler, in dem auch Detlev von Liliencron und Richard Dehmel publizierten. „Aus breiter goldener Schale will ich den edlen Wein / Großer Gedichte trinken, die der Menge fern sind“, hebt der Prolog an und etabliert sowohl die Stilebene des Buches als auch den aristokratisch-weltenthobenen Gestus dieser Lyrik. Ritterromantik steht neben schwermütiger Dekadenz, die pathetische Anrufung einsamen Künstlertums neben ästhetisierten Stillleben. Später hat Schaukal Meine Gärten selbstbewusst als „Hauptwerk des deutschen Symbolismus“ bezeichnet.

Der aufdringliche Österreicher, der Buch um Buch, Zeitungsartikel um Zeitungsartikel schickte, wurde Thomas Mann langsam lästig.

Die Welt der Aristokratie faszinierte Schaukal schon in jungen Jahren. In seinem Tagebuch notierte er 1896: „Ich bin Aristokrat des Geistes. Meine sehnsüchtigste Neigung: ein Freiherrentitel.“ Er suchte die Nähe zu Ebner-Eschenbach und Ferdinand von Saar; die Literatur erlaubte es ihm zudem, seiner bürgerlichen Herkunft in der Imagination aristokratischer Lebenswelten zu entfliehen.

Phantast und Beamter
In Mährisch-Weißkirchen ein wenig im Abseits und oft von dienstlichen Pflichten okkupiert, versuchte Schaukal dennoch teilzuhaben am Wiener Literaturbetrieb (obwohl er diesen, wie er nicht müde wurde zu betonen, verachtete). Die Liste seiner Korrespondenzpartner dieser Zeit ist überaus prominent, sein Bemühen, zum Kreis der beachteten Autoren der Zeit zu gehören, unübersehbar. Schaukals zur Penetranz neigende Selbstpräsentation und der oft polemische Ton seiner Briefe erweckten freilich bei manchen Adressaten rasch Unbehagen.

Arthur Schnitzler ließ er Ende des Jahres 1900 „als Ausdruck schätzender Achtung“ eine umfängliche Büchersendung zukommen: „Wenn Sies nicht freut, sagen Sie lieber gar nichts, als mir mit gezwungenen Zeilen Conventionelles zu erwidern.“ Hier schreibt einer, der schon die Ablehnung einkalkuliert und sich im Fall des Falles in seiner randständigen Besonderheit bestätigt fühlt. Und Schaukal fällt, als Schnitzler ihm Freundliches zu seinem Gedichtband Tage und Träume (1899) schreibt, gleich mit der Tür ins Haus: Er sei nämlich „ein Verabscheuer der Literaten“ und überzeugt davon, in Schnitzler einen ebensolchen zu finden. So wie Schaukal in Briefen oft unvermittelt vom Konversationston in den Angriff übergeht, weisen auch seine Kritiken ein defizitäres anger management auf. Eine Rezension der