Germanophilie oder Wahlverwandtschaft?

Madame de Staël und Goethe. Von Hans Christoph Buch

Online seit: 22. Januar 2022

Wir haben die Restaurationen der modernen Völker geteilt, ohne ihre Revolutionen zu teilen.“ Mit diesem berühmt gewordenen Satz aus der Kritik von Hegels Rechtsphilosophie schuf der junge Marx ein Paradigma, das sich zum Dogma verfestigte, bevor es in die Trivialität absank. Gemeint ist das linke Klischee, demzufolge die Deutschen keine Revolution zustande brachten, weil das Betreten des Rasens verboten war – Stichwort deutsche Misere. Nichts ist falscher als das, denn Deutschland hat mindestens zwei epochale Umwälzungen erlebt. Die erste war die von Luther ausgelöste Reformation, die sich auf geistigem Gebiet vollzog, in der Theologie, ehe sie realpolitische Konsequenzen zeitigte: Vom Bauernkrieg über die europäischen Glaubenskriege des 17. Jahrhunderts bis zum Westfälischen Frieden unter dem Motto: Cuius regio, eius religio.

Die zweite deutsche Revolution war nicht weniger folgenreich, wird aber häufig verkannt, obwohl sie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert weltweit Staunen und Bewunderung hervorrief, unter Zeitgenossen wie Nachgeborenen. Gemeint ist der Deutsche Idealismus als Dreiklang von Aufklärung, Klassik und Romantik, die keine Gegensätze, sondern eine Einheit bildeten, kulminierend in Goethes Leben und Werk: Mit Wieland und Winckelmann, Lessing, Herder und Klopstock als Anregern, Kant und Hegel als Mentoren, nicht zu vergessen Mozart und Beethoven, zu dessen Neunter Symphonie, heute die Hymne Europas, Schiller den Text lieferte.

Gemeint ist das linke Klischee, demzufolge die Deutschen keine Revolution zustande brachten, weil das Betreten des Rasens verboten war.

Der Deutsche Idealismus war kein Wolkenkuckucksheim der Fantasie, er ist materialistisch geerdet durch die