Mein Name ist Friedo Lampe, und so unspektakulär wie dieser Vor- und Nachname verlief mein nicht von Kristalllüstern, sondern von trüben Funzeln erhelltes Leben, das am 4. Dezember 1899 in Bremen begann und am 2. Mai 1945 jäh endete – den Bericht darüber, was an diesem denkwürdigen Tag in Kleinmachnow geschah, spare ich für später auf.
„Es ist besser, wenn sie dein Werk gelungen und dein Leben trübselig finden als umgekehrt“, schrieb Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ein Dichter aus dem Staat, dessen Soldateska mich ins Jenseits katapultierte, und fuhr fort: „Vermutlich interessiert sie beides nicht.“ Ich weiß, wovon ich rede, denn ich war Schriftsteller und Verlagslektor von Beruf, eine Hebamme, die anderer Leute Werke zum Druck befördert – mein eigenes Schaffen stellte ich notgedrungen zurück. Zusammen mit Erzählungen, Gedichten, Rezensionen und Briefen füllte es zuerst einen, dann zwei Nachlassbände, und das ist viel in den trüben Zeiten, um die es hier geht – ich wiederhole mich. Doch ich will die Geschichte von Anfang an erzählen, so wie sie sich wirklich zugetragen hat.
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Im September 1963 erhieltst du einen Brief von einem dir unbekannten Absender, der dich zur Tagung der Gruppe 47 nach Saulgau einlud. Dass es sich um ein Schriftstellertreffen handelte, wusstest du, aber von Hans Werner Richter, dem Gründer und Leiter der Gruppe, hattest du noch nichts gelesen oder gehört. Die deutsche Gegenwartsliteratur interessierte dich nicht; neben deinen Hausgöttern Kafka, Robert Walser und Robert Musil verblasste alles Übrige zur Unkenntlichkeit.
Du warst neunzehn Jahre alt und furchtbar arrogant. Unter der Schulbank am Beethoven-Gymnasium hattest du Abschied von den Eltern gelesen und Fluchtpunkt von Peter Weiss, dem du in den Ferien deine Aufwartung machtest in seinem Atelier in der Altstadt von Stockholm, wo er, stumm an seiner Pfeife saugend, Collagen verfertigte für Der Schatten des Körpers des Kutschers. In deiner Erinnerung rauchten alle Schriftsteller Pfeife, rauchende Köpfe im buchstäblichen Sinn, und von deinem ersten Honorar kauftest du dir eine Dunhill-Pfeife, die erst eingeraucht werden musste, wie die Zeitschrift Twen es den Lesern empfahl. Ohne Black & White-Whisky und Pfeifentabak der Marke Erinmore, glaubtest du, sei es unmöglich, Bücher zu schreiben. Du last eine Erzählung vor über eine archäologische Ausgrabung, die im Sande verläuft und nichts zutage fördert: Ausdruck deiner Weigerung, den oder die Leser für irgendetwas zu interessieren – nicht mal ihre Neugier wecken wolltest du. Der aus Leipzig nach Tübingen übergesiedelte Philosoph Ernst Bloch entlarvte dich als Relikt spätbürgerlicher Dekadenz und expedierte dich auf den Müllhaufen der Geschichte. Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki pflichteten ihm bei, aber Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger verteidigten deinen Text, und Walter Höllerer lud dich ein, am 4. November in die Carmerstraße nach Berlin zu kommen, wo das Literarische Colloquium eine Werkstatt zum Thema Prosaschreiben eröffnete. Eure Lehrer hießen Hans Werner Richter, Günter Grass, Peter Weiss und Uwe Johnson, mit dir auf der Schulbank saßen Peter Bichsel, Nicolas Born, Hubert Fichte, Hermann Piwitt und andere.
Nach der Lesung in Saulgau sprach der Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt dich an und schickte dir das kürzlich neu aufgelegte Gesamtwerk von Friedo Lampe, damals noch in einem Band, mit dem Hinweis, deine Kurzgeschichte hätte ihn an diesen zu Unrecht vergessenen Autor erinnert. Du hattest keine Ahnung, was dir die Ehre verschaffte – Lampes Prosa kam dir antiquiert, altfränkisch oder unfreiwillig komisch vor, und in deine am Literarischen Colloquium entstandenen Short Stories fügtest du Sätze von Friedo Lampe als Stilblüten ein, Fußangeln besser gesagt, wie ihr es unter der Ägide von Peter Rühmkorf mit Kellers Grünem Heinrich erprobt hattet.
Erst ein halbes Jahrhundert später gingen dir die Augen über beim Wiederlesen von Friedo Lampes Erzählung Septembergewitter und du begriffst, was Ledig-Rowohlt gemeint haben könnte, als er dir diesen Autor empfahl!
3
Ich kam zur Welt als Spross einer Bremischen, nicht Bremer Kaufmannsfamilie, deren Selbstverständnis, Haltung und Stil vom neunzehnten Jahrhundert geprägt war, an dessen Ende ich geboren bin. Die einschneidendste – im wahren Sinne des Worts – Erfahrung meiner Kindheit war eine Knochentuberkulose am Fuß, die ich auf Norderney auskurierte – nicht ein paar Wochen oder Monate, sondern drei Jahre lang, in denen ich Vater und Mutter nicht wiedersah, wie es der Leiter des Sanatoriums, Dr. Schildhorst, Eltern und Kindern empfahl. Als Mutterersatz fungierte die Krankenschwester Toni Oberstein, der ich Briefe an meinen Bruder Georg und an die besorgten Eltern diktierte. 1907 wurde ich als geheilt entlassen, und von der überstandenen Tortur, vergleichbar den Reit- und Fechtübungen des späteren Kaisers Wilhelm II. mit verkrüppeltem Arm, blieb nur ein leichtes Hinken zurück, das mich vor dem Militärdienst im Ersten und Zweiten Weltkrieg bewahrt hat. Dass der Kuraufenthalt in Norderney die Wurzel meiner in der Pubertät sich herausbildenden Homosexualität gewesen sei, ist pure Spekulation. Mein Hang zum Träumen aber, verbunden mit Lesen, Schreiben und Theaterspielen, mag hier seinen Ursprung haben, denn schon in der Kinderklinik unterhielt ich Ärzte und Patienten mit Kasperkomödien, die ich ersann, und mimte Rotkäppchen und den Wolf so überzeugend wie die Schmerzen beim Ziehen eines Zahns.
Über die tragischen Umstände meines Todes sind verschiedene, einander widersprechende Versionen im Umlauf.
In der Unterprima verließ ich die Oberrealschule in Bremen und trat ins väterliche Kontor ein, wo meine saubere, gut lesbare Handschrift mir zugutekam. Ich hasste die Ausbildung zum Versicherungskaufmann, den mein Vater in mir sah, und strebte nach Höherem. Meine mittlere Reife – so hieß damals die Pubertät – fiel
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