„Nicht vorschnell das Künstlernäschen rümpfen“

Gisela Trahms im Gespräch mit Georg Klein über Zeitungstexte, Hitlerträume und das Triviale.

Online seit: 31. August 2021

GISELA TRAHMS Ist es nur ein Schritt von der Literatur zum Feuilleton? Wie kam es, dass Sie sich für beide entschieden?

GEORG KLEIN Für das Schreiben von erzählender Prosa habe ich mich vor 35 Jahren mutterseelenallein entschieden – mit bangem Herzen und flauem Gefühl im Magen. Denn ich wusste sehr wohl: Das kannst du nicht, und es ist arg unsicher, ob du es je können wirst.

Das Verfassen von Feuilleton-Texten wurde mir zwanzig Jahre später von Redakteuren, denen meine erste Roman-Veröffentlichung aufgefallen war, angeboten. Es machte mir sofort Freude. Besorgt, es nicht hinzukriegen, war ich seltsamerweise nie. Dazu kam, dass man mir, dem nicht mehr jungen literarischen Quereinsteiger, freundlicherweise die grausamen Initiationsrituale des Journalismus, das Kürzen, das rigorose Redigieren und Verschlimmbessern, von vorneherein ersparte.

TRAHMS In vierzehn Jahren haben Sie über dreihundert Artikel geschrieben, die jetzt erschienene Auswahl trägt den Titel Schund & Segen. Was bedeutet „Schund“ für Sie?

KLEIN „Schund“ ist für mich vor allem ein sentimentaler Begriff. Er umschließt alle künstlerischen Werke, die in meiner Kindheit und Jugend erniedrigt zu mir kamen, mich faszinierten und mir nutzten, ohne dass ich ihre Erniedrigung bemerkte: schlecht übersetzte und rabiat auf Taschenbucheinheitsformat gekürzte amerikanische Science-Fiction-Romane zum Beispiel, oder Comics, die als sogenannte „Illustrierte Klassiker“ Werke der Weltliteratur auf fünfundzwanzig bunte Seiten eindampften. Und anderes, das den Stand der Ehre und die Gnade der Aufmerksamkeit auf weniger brachiale Weise eingebüßt hat: Einstige Bestseller, die man nur noch auf dem Flohmarkt oder im Internet-Ramsch findet wie Hildegard Knefs Schicksalsroman Das Urteil. Nicht zu vergessen die große Schund- und Schwundwundertüte des Fernsehens: Meine erste Oper habe ich als Volksschüler auf dem Schwarzweißfernseher von Nachbarn gesehen.

TRAHMS Und „Segen“?

KLEIN „Segen“ gehört zu den Wörtern, denen wir besser nicht mit allzu engen Bedeutungskostümen oder gar Definitionen auf den Leib rücken. Denken Sie nur an die schöne Wendung „das Zeitliche segnen“. Das müsste heute doch mehr sein als nur ein Euphemismus für „ ohne Widerspruch abkratzen“? Im „Segen“ verstärken sich Geste, Blick und Wort zu besonderer Wirkung – im Fluch allerdings auch.

TRAHMS Lässt sich Schund in Segen verwandeln? In Ihrem Roman unserer Kindheit entsteigt die Gruppe der Kriegsversehrten dem Titelblatt eines Landserheftchens, wie sie in der Nachkriegszeit in allen Kiosken lagen. Sie nehmen den Schund ernst.

KLEIN Warum sollte ich hochnäsig verspotten, was mir viel gegeben hat? Und wenn ich bedenke, wie viel Erfahrungswiderstand und Inspiration die Videospiele des zurückliegenden Jahrzehnts, zweifel- und ausnahmslos Schund, unseren Söhnen offeriert haben, bestärkt mich das darin, nicht vorschnell das Künstlernäschen über diese fragwürdigen Machwerke zu rümpfen.

TRAHMS Also Machwerk, also fragwürdig, dennoch: Gleichmut? Das ganze öffentliche Gezeter sinnlos?

KLEIN Zumindest fruchtlos! Denn die Überfülle an Schund, all das Halbseidene, das zweckhaft auf den fixen Erfolg schielt, kriegen wir mit schulmeisterlichem Pochen auf Qualität nicht aus der Welt. Und merkwürdigerweise transportiert das Triviale im breiten Strom des Gewohnten nicht selten auch Spurenelemente des Neuen. Das kann man zum Beispiel an den Fernsehserien der letzten zehn Jahre beobachten.

TRAHMS Ihre „abverlangten Texte“ beschränken sich nicht auf literarische Themen, Sie schreiben über Klontechnik, Märklin-Eisenbahnen, das Windrad und die technisierte Natur, den 11. September …

KLEIN Das ergab und ergibt sich vor allem daraus, dass ich mich nie als Experte gefühlt habe. Ich bin kein Fachmann für Literaturgeschichte oder Literaturtheorie, nicht einmal ausgefuchster Spezialist in Sachen Prosa-Verfassen. Mein feuilletonistisches Schreiben ist wie mein literarisches Schreiben nicht an erworbenem und reproduzierbarem Wissen orientiert. Wissen soll kommen, aber auch wieder gehen. Mir ist nur recht, wenn mir beim Schreiben nicht allzu viel Gewusstes ins Bewusstsein schießt. Lieber vertraue ich darauf, dass ein origineller sprachlicher Zugriff auch eine fruchtbare Perspektive eröffnen kann und sich dann ein interessanter Satzlauf, ein inspirierender Gedankengang ergibt. Zu meiner Überraschung hat dies meinen Partnern in den Redaktionen gefallen, und sie boten mir bald nicht nur die literarischen Kartoffelsorten, sondern das ganze kunterbunte Gemüse ihres Ressorts an.

Im Traum trug Hitler eine Strickweste, darunter ein Freizeithemd mit offenem Kragen.

TRAHMS Sie mischen auch Ihre persönlichen Erfahrungen darunter. Sie erzählen von empörten Touristen, die am Dollart, dem Meerbusen, an dem Sie leben, die Nordsee nicht fanden, oder von einem sympathischen Deutschlehrer, der nicht so recht weiß, wer Odysseus ist. Insofern steckt auch dieses Buch voller Geschichten.

KLEIN Dergleichen einflechten zu dürfen, ist eine Art Gästeprivileg. Als Autor erzählender Prosa bin ich ja nur