siebzehn poetologien

Von Franz Josef Czernin

Online seit: 19. August 2024

sonnensang

dies zerebrale bist, hier zelebrant
mir offerierst die raue schale,
durch graue massen, die gehirne
mich bis ins blaue reflektierst. 
doch bald verlassen glüht die birne, 
ist schon ewiglang verbrannt.

denn ich allein bin die zentrale.

 

mallarmé

eine münze muss geworfen sein,
doch fallen soll auf beide seiten,
dass die sich selbst bestreiten,

wir uns bedeuten zweimal keins.

 

mallarmés epitaph

da die wahl sich selbst getroffen hat,
iegt in der urne nun ein leeres blatt.
die zahl ist gleich, die stellung patt:
auf allen seiten bin, an jedes statt.

 

moralia

ich kann mich allen übels zeihn,
so könnt mir alles übel nehmen,
euch müsst für uns und mich dann schämen,
und ich kann gut mir selber sein,

ja ich kann gut ich selber sein.

 

nostra culpa

nicht nur um meinetwillen
hab ich bitter hier zu klagen:
da viel sehnen ich durchschnitt,
keine träne liess sich stillen.
auch für euch musst hier versagen,
mit dem latein am ende sein:

deshalb aber sind wir quitt,
unten ich, ihr im zenit allein.

 

superbia

ja, es ist unfug, kram und krempel,
dummes zeug, unklug, sehr zu rügen,
voller lügen auch und der betrug,
doch euch drückts meinen stempel auf:

viel vergnügen – jetzt ist es euer tempel.

 

narziss

da ich nach meinen nöten patze,
nichts tiefes sich vom pegel scheidet,
dass einander selbst ausbooten.
verbote seien hier nicht die regel,
denn jede falsche note sei auch segel,
bis das wasser unsre fratze schneidet:

nicht anders wär ich auszuloten.

 

münchhausen

mein kopf ist tief in seinem schlund,
da packt beim schopf uns die gelegenheit:
in meinem mund seht euren zopf,
zieht meinen kopf aus eurem mund.

dann sind wir frei und ohne grund.

 

mortale

vom hohen spruch, vom gipfel,
an jahren jung oder von alters her,
mit wenig schwung oder mit viel,
sind wir, bin ich am tiefen sprung.
im hoffen greif ich nach dem letzten zipfel,
doch es ist überall so weit das tuch.

ja, dieser fall ist frei, sein ende offen.

 

immer wären

will viel zu wünschen übrig lassen,
dass hier auch was zu suchen habt;
denn offen sein, heisst nichts verpassen,
sonst hätt es sich zu gut getroffen.

denn nur in stoffen oder massen,
die nicht sich zu verbuchen hoffen,
wär der kuchen ganz zu fassen.

 

kunstgerecht

du tust dir gut in dem palast,
meinst wort und schatz zu hüten;
du siehst dich wohnen in der mitte,
doch redest blech von deinem platz.
als wär dein gold in unsrer hütte,
lässt dich von uns allein vergüten:

wie man dich hasst in unserm knast!

 

immanenz

nicht preis, noch fleiss ist hier vermögen,
ob dies vergöttert oder kaum ergötzt:
ob höher eingeschätzt oder auch tiefer,
der ware wert kann nichts belegen,
nicht prägen sich des wahren geld,
da uns im eignen kreis bewegen:

daher zu schlechter- oder guterletzt
bleibt unbesetzt das leere feld.

 

autors tod

in den köpfen muss sich was rühren,
doch zu spüren ist kein koch,
so muss der brei sich selbst verderben,
bis der topf in scherben liegt und spricht:

nichts ist zu erben hier als dies gericht.

 

pygmalion

aus meinen eignen ärmeln,
sich eure hände mir entgegenstrecken,
dass uns in eurem armen beinen
auch schrecken meine knochen:

wie schlimm in einem leib zu stecken!

 

pygmalion

in stein gemeisselt steht dies fest,
auf hohem sockel lebhaft mein:
euch macht mich lebensecht gemein,
da fleisch und blut euch daraus presst.

als bein um bein einst unser leben lässt,
mir selbst im besten licht erschein.

 

erosion

gemacht hab mich Ich aus eurem staub,
zu stand gebracht und auch ins bild.
wie hätten drin uns festgebannt,
wärn in den sand wärn nicht hier gesetzt,

der uns vertausendfacht verflüchtigt hat.

 

aber ja!

im anfang, eignen geists und blitzs,
den kreis gebahnt hab euch gefunkt,
was ihr allein sonst unkt und ahnt,
hier bracht es mit und auf den punkt:

es ist nun unsres schlags und witzs.

 

Franz Josef Czernin, geboren 1952 in Wien, lebt vorwiegend in Rettenegg. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Georg-Trakl-Preis, den Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik und den Ernst-Jandl-Preis. Zuletzt erschienen reisen, auch winterlich (Hanser, 2019), widersprüche sind die hilferufe des denkens. aphorismen (Edition Virgines, 2022) und geliehene zungen (Hanser, 2023).

Quelle: VOLLTEXT 1/2024

Online seit: 19. August 2024