Vorbemerkung
Oswald Wieners Dichten und Denken, das mich bewegt, beinahe seit ich literarisch zu schreiben begonnen habe, verdanke ich mehr, als ich in wenigen Sätzen sagen kann. Wieners Gedanken, die er, spätestens seit Ende der sechziger Jahre, als Weg zum Ziel einer naturwissenschaftlichen Theorie menschlicher Kognition versteht, sind für mich auch eine Herausforderung, da jenes Ziel eine Einschränkung, ja eigentlich eine Zurückweisung nicht der Literatur, der Poesie selbst, doch ihres Erkenntnisanspruchs enthält. Für Wiener scheitert Literatur zwangsläufig in ihrem Anspruch, wie er es nennt, klare Erkenntnis zu sein; klare Erkenntnis ist für ihn, wenn ich ihn richtig verstehe, nur mittels naturwissenschaftlicher Theorien möglich, Literatur dagegen habe bestenfalls den Wert des Weges zu einer solchen Theorie. Zum einen, indem sie Sensibilität und Kompetenz für sprachlichen Umgang und für Selbstbeobachtungen steigern könne; andererseits, indem die Beobachtung von Dichtern und Rezipienten von Dichtungen (und da schließt Wiener sich wohl auch selbst bzw. seine literarischen Arbeiten ein) als Beispiele für fundamentale Mechanismen der Kognition fungieren können. Dennoch: Man ermisst nach Wiener erst dann die eigentliche Bestimmung von Literatur, wenn man einsieht, dass naturwissenschaftliche Kognitionstheorien das sind, wonach Literatur dunkel und ohnmächtig analogisierend strebt. Als wäre eine solche Theorie die im Hegelschen Sinn des Wortes aufgehobene Literatur. Ich will oder kann Wieners Zurückweisung des Erkenntnisanspruchs von Poesie nicht akzeptieren. Was aber entgegensetzen? Und warum eigentlich etwas entgegensetzen? Ist die Poesie als Mittel klarer Erkenntnis nicht tatsächlich denkbar ungeeignet? Ist sie nicht eigentlich ein absonderlicher Atavismus, ein mythisch-vorbegrifflicher Rest, ganz ähnlich, wie es die Religionen sind? Ich weiß keine endgültige Antwort auf diese Fragen.
1
Der Titel dieses Essays bezieht sich auf Charles Percy Snows The Two Cultures and the Scientific Revolution (1959). Snow, Physiker, aber auch Autor von Romanen, behauptet in diesem Text, dass die westliche Kultur in zwei Kulturen zerfallen ist. Die eine nennt er, englischem Sprachgebrauch gemäß, science, die andere humanities. Für Snow war, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, jener Zerfall Anlass zu einem generellen Kulturpessimismus. Diesen teile ich nicht ohne Weiteres (denn Zerfall kann durchaus wünschenswert sein und zu Optimismus veranlassen), ich teile aber seine Diagnose. Dass die beiden Kulturen in vielen Hinsichten unvereinbar sind, meine ich jedenfalls oft genug im Umgang mit naturwissenschaftlich Orientierten erlebt zu haben. Ein Mann ohne Eigenschaften, jemand, der in den humanities und in einer science gleichermaßen zu Hause ist, ist kaum zu finden und vielleicht heute schwer möglich. Da sich, wie ich meine, der von Snow diagnostizierte Zerfall besonders deutlich an den Extremen Naturwissenschaft und Poesie zeigt, stelle ich je ein Beispiel aus diesen beiden Bereichen einander gegenüber.
Für Wiener scheitert Literatur zwangsläufig in ihrem Anspruch, wie er es nennt, „klare“ Erkenntnis zu sein.
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Mit dem Einverständnis Oswald Wieners zitiere ich eine Stelle aus einem Brief aus dem Jahre 2009 an mich: „Ich verstehe
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