Zum Ende schreiben

Clarice Lispectors literarische Passion. Von Felix Philipp Ingold

Online seit: 6. November 2025
Clarice Lispector © privat
Clarice Lispector: „Ich ziehe mich in die Rosen zurück, in die Wörter. Kläglicher Trost. Ich unterliege der Inflation. Habe keinen Wert.“

Irgendwann im Verlauf dieses Jahres wäre der 100. Geburtstag der brasilianischen Schriftstellerin Clarice Lispector zu feiern, hielte man sich denn an ihre eigene Zeitrechnung, deren Beginn sie willkürlich auf 1925 angesetzt hat. In Wirklichkeit wurde sie fünf Jahre früher, am 10. Dezember 1920, in Tschetschelnik, einem provinziellen Grenzort der südlichen Ukraine geboren. Kurz danach emigrierte ihre Familie – die Eltern mit drei Töchtern – unter den Bedrohungen des russischen Bürgerkriegs auf beschwerlichen Wegen nach Südamerika. Die willkürliche Kürzung ihrer Biographie um die ersten Lebensjahre hat die Autorin nicht etwa aus weiblicher Eitelkeit bewerkstelligt, vielmehr in der Absicht, ihre slawische und jüdische Herkunft wie auch ihren ursprünglich hebräischen Namen (Chaja) auszublenden, um sich in der portugiesischen Sprache und in der brasilianischen Literatur eigenständig zu behaupten. Heute genießt ihr erzählerisches Werk weltweit – von Japan bis Kanada und nicht zuletzt in ihrer ukrainischen Heimat – höchste Anerkennung. So gut wie alles, was Clarice Lispector veröffentlicht hat (Romane, Erzählungen, Reportagen, Essays, Kolumnen), liegt in deutscher Fassung vor, ausgenommen der postum publizierte Prosaband Ein Hauch von Leben (1978), der als Summa ihres Schaffens und gleichzeitig als Selbstkommentar dazu gelten kann. – In einer Neuübersetzung ist jüngst Die Passion nach G. H. erschienen, Lispectors autofiktionaler Meisterroman von 1964, der in mancher Hinsicht auf den Nachlassband vorausweist.

„Die Schrift ist der unbestimmte, uneinheitliche, unfixierbare Ort, wohin unser Subjekt entflieht, das Schwarzweiß, in dem sich jede Identität aufzulösen beginnt, angefangen mit derjenigen des schreibenden Körpers.“ Mit dieser etwas prätentiösen Formulierung hat Roland Barthes 1968 in seinem wegweisenden Essay über den „Tod des Autors“ den Autoritätsverlust individueller Autorschaft auf den Punkt gebracht und die Auflösung „jeder Identität“ im literarischen Text festgeschrieben. Dabei ist zu beachten, dass „unser Subjekt“ im Französischen nicht nur das Subjekt als natürliche oder grammatische Person bezeichnet, sondern auch das Thema („le sujet“) als Motiv und Gegenstand des Schreibens.

Das damals vieldiskutierte „Verschwinden“, ja, den „Tod“ des Autors und