Wortkunst statt Belletristik

Ist das Erbe der Avantgarden zu retten? Von Felix Philipp Ingold

Online seit: 27. Januar 2022

Fast wäre es zu einer literarischen Grundsatzdebatte gekommen, als im vergangenen Frühsommer der Germanist Moritz Baßler mit einer rasanten Pauschalkritik an der aktuellen deutschsprachigen Belletristik Furore machte. Doch mehr als ein kurzfristiges „Furore“ hat seine Intervention („Der neue Midcult“, Pop. Kultur und Kritik, XVIII) nicht erbracht. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass sich Baßler vorzugsweise an Werken populärer Unterhaltungsbelletristik abarbeitet, und nicht an jener ambitionierten Literaturproduktion, die vom Feuilleton zumeist unkritisch präsent gehalten wird, obwohl sie sich insgesamt – in thematischer wie in formaler Hinsicht – nicht wesentlich vom gängigen Popkitsch unterscheidet.

Kitsch? Baßler präzisiert: „Dieser Kitsch entsteht, wenn immer schon vorausgesetzt und der Zielgruppe klar ist, was relevant und richtig ist; wenn die entsprechende Arbeit nicht geleistet wird, eine Arbeit an Form und Kontext.“ Und noch eine Präzisierung: „… es gibt diesen Kitsch nicht nur produktionsseitig, in Form von Gedichten oder Romanen, sondern auch rezeptionsseitig.“ Das heißt mit andern Worten, dass auch Kritik und Publikum zur Popularisierung solcher Literatur beitragen; und solche Literatur ist nun eben heutzutage tatsächlich die „gängige“, die vielfach belobigte, die „ausgezeichnete“, eine Literatur, die sich mehrheitlich in eine Themen- bzw. Problemblase zurückgezogen hat, in der vorrangig – bald in dokumentarischer Aufrichtigkeit, bald in halbfiktionaler Darbietungsweise – von eigenen Befindlichkeiten die Rede ist, von Herkunft, familiärer Prägung, von Entbehrung, Missbrauch, Trennung, Drogen, Krankheit, Flucht, Fremdsein, mithin vom eigenen Unheil, das nicht selten zum Unheil der Welt mutiert.

Das Interesse an Sprachform und  -qualität literarischer Texte ist bei Autoren, Kritikern, Lesern gleichermaßen gering.

Gemeinhin werden Texte dieser Art mit Adjektiven wie „authentisch“, „ehrlich“, „wirklichkeitsnah“, „eindrücklich“, „spannend“ charakterisiert, gelegentlich auch als „anrührend“ oder gar „erschütternd“. Dass die entsprechenden Plots durchwegs problemlos nachzuvollziehen, zu verstehen und zu resümieren sind, wirkt sich auf ihre Verbreitung (Bestsellerliste) naturgemäß ebenso positiv aus wie auf ihre Erfolgschancen (Bestenliste).

Dass freilich auch derartige Befindlichkeits- und Berichterstattungsbelletristik nicht allein aus Emotionen gemacht ist, dass sie