Voran in die Vergangenheit!

Lebensknoten – ein nachgelassenes Werkfragment von Julien Gracq. Von Felix Philipp Ingold

Online seit: 21. April 2024
Julien Gracq © Jose Corti
Ein literarisch reaktionärer, unversöhnlicher Kulturpessimist: Julien Gracq. Foto: Jose Corti

Die renommierteste literarische Auszeichnung Frankreichs, den Prix Goncourt, hat Julien Gracq (1910–2007) einst souverän abgelehnt, und er hätte sicherlich auch den Nobelpreis zurückgewiesen, wäre er ihm denn – durchaus verdientermaßen – zuerkannt worden. Preise und andere Ehrungen für künstlerisches Tun verachtete er generell als nichtswürdigen, wenn nicht als beleidigenden Hokuspokus, von dem er im Übrigen auch das Rezensionswesen nicht ausnahm. Diese tiefsitzende Verachtung für zeremonielle und geschäftliche Umtriebe scheint schon früh zu den Triebkräften seiner höchst produktiven Schreibarbeit gehört zu haben, die insgesamt zehn Romane sowie rund ein Dutzend Prosa- und Essaybände erbrachte.

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Niemandem blieb Gracqs erbarmungslose Polemik erspart – nicht seinen erfolgreichen Schriftstellerkollegen, nicht den mauschelnden Kritikern, auch nicht dem unbedarften Publikum: Ein starker Autor – Mallarmé als Beispiel – brauche nicht mehr (freilich auch nicht weniger) als fünfzig eingeschworene Leser, die ihm bedingungslos die Treue halten, konstatierte er, und starke Literatur sei in jedem Fall schwierige Literatur – Kennwort: „unübersetzbar.“

Das ist ein offenkundig elitärer Anspruch, doch Gracq hat konsequent daran festgehalten, ohne deshalb ins Abseits verwiesen zu werden. Er hatte die rare Chance, als unleidlicher Sonderling am Rand des Literaturbetriebs und fernab von irgendwelchen aktuellen Trends zu reüssieren, als ein Einzelgänger mit unverwechselbarer Statur und Stimme, der seinen Sonderweg so unbeirrt wie beispielhaft abschritt und dafür – stellvertretend für viele andere bemerkenswerte Einzelgänger, die unbeachtet blieben – reichlich Zuspruch erhielt: Als Autor wurde Julien Gracq zum exemplarischen Stellvertreter für alle „schwierige“ Literatur, die man unter seinem Namen pauschal subsumierte.

Ernst zu nehmen ist aber Gracqs sarkastischer Einwurf, ein starker, eben „origineller“ Autor könne nur werden, wer den Lyrikworkshop oder das Literaturinstitut „geschwänzt“ habe.

Doch durchwegs erfuhren seine Bücher respektvolle, obgleich nicht immer kompetente Anerkennung, es gab Nachauflagen, dazu auch zahlreiche Übersetzungen (vorab ins Deutsche und Russische), und noch zu seinen Lebzeiten