Der Zwang zum Gefühl

Aus Anlass von Moritz Baßlers Realismus-Betrachtung der Gegenwartsliteratur. Von Ernst-Wilhelm Händler

Online seit: 22. April 2023
Wednesday Addams © Netflix
Role Model für Ernst-Wilhelm Händler: Wednesday Addams. „Man möchte lieber ihr Duschgel im Badezimmer haben als dasjenige von Mose­bach.“ Foto: Netflix

Noch niemals in der Geschichte der Menschheit hat es ein derart großes nicht-faktuales Erzählangebot gegeben. Die ständig fortschreitenden Medien-Technologien und ihre Ökonomien haben das möglich gemacht. Literatur, Film und Fernsehserie befinden sich in einem Pool miteinander im Wettbewerb stehender Varianten. Die bildende Kunst nimmt eine vergleichbare Entwicklung. Das ständig wachsende Angebot an zu verkaufender Kunst für die ökonomisch aktiven Kunstkonsumenten korrespondiert mit der fortgesetzten Ausweitung der von den Museen erbrachten Leistungen für die ökonomisch passiven Kunstinteressierten. Museen wollen nicht mehr nur Kunst zeigen, sie wollen so offen wie möglich für Wissenschaft, Soziologie und ethnologische Zusammenhänge sein.

Die Literaturwissenschaften haben sich seit jeher auch dem Ordnungsgedanken und der Überblicksdarstellung verschrieben. Es ist nur begrenzt kurzweilig, Literaturwissenschaft vornehmlich als das Eindringen in die Gehirnwindungen jeweils einzelner Autoren und Autorinnen zu betreiben. Ein aktuelles, prinzipiell löbliches Beispiel für eine synoptische Darstellung ist Moritz Baßler. Der Titel seiner Betrachtung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur lautet Populärer Realismus, der Untertitel Vom International Style gegenwärtigen Erzählens (2022). Es ist allerdings kaum möglich, die gegenwärtigen literarischen Erzeugnisse im deutschen Sprachraum mit einer Überschrift zu versehen, die weniger zutreffend wäre.

Breiter Zugang zur Literatur

Nach Baßler ist