Als Arbeiterkind und Dichter unter den Kulturlinken

Über Verteilungskämpfe und Identitätspolitik im Literaturbetrieb einst und jetzt. Von Dieter M. Gräf

Online seit: 17. Dezember 2022

War es für mich schwierig, mich zu bewegen und zu behaupten unter Dichtern und Literaten, die fast alle einen ganz anderen familiären Hintergrund haben als ich? Je progressiver und lässiger ihr Musikgeschmack, desto höher die Position der Eltern, nicht selten Professoren, deren Ehen nicht besonders glücklich verlaufen sind, sodass Risse entstanden. Meine Eltern waren zu bieder für so etwas. Der Vater war Maschineneinsteller in einer Wassermesserfabrik in der pfälzischen Chemiestadt Ludwixhafen, die Mutter Krankenkassenangestellte, und als wir aus dem Gröbsten heraus waren, ließ sie das sein: Sie ging ja nicht zur Arbeit, um sich selbst zu verwirklichen. Bücher gab es durchaus im Elternhaus, als Deko, um zu zeigen: Ja, wir entkamen der Unterschicht – die Ahnen waren Tagelöhner, Bauern, ein Schankwirt und ein Musikant –, und es fehlt nicht mehr viel, dann haben wir uns hochgerappelt in den Speckgürtel der Mitte hinein. Und wir haben einen Sohn, der soll es besser haben als wir. Ich war das. Der Erste in der Familie, der höhere Schulen besuchen konnte, der Erste, der Fremdsprachen lernen konnte, der Erste, der in ein Flugzeug stieg. Und der Erste, der Bücher schrieb. Also, war das denn schwierig, sich da zu behaupten, mit Gedichten?

Wäre mein Aufstieg steiler ausgefallen, käme ich aus ähnlichem Milieu? Je dünner die Luft in der Höhe geriet, desto stärker wurde ihre Neigung zu Gleichbetuchten.

Ach, es ging. Bestimmt nicht schwieriger, als eine Gaststätte dreißig Jahre lang gut zu führen, oder