Löcher im Papier öffnen sich und ziehen mich tief hinein, weg von allem*

Dieter Bandhauer zur vierbändigen Ausgabe der Briefe von Samuel Beckett.
„Der große Minetti, den ich neulich als Marat in dem Weiss-Stück so glänzen sah, als Pozzo unglaublich daneben – und störrisch“.

Online seit: 8. Juni 2020
Samuel Beckett © Roger Pic
„Also: machen Sie ohne mich weiter.“

Am 2. Januar 1972 lehnte Samuel Beckett James Knowlsons Vorschlag, eine Biographie über ihn zu verfassen, mit kaum Widerspruch duldenden Worten ab: „Betr. Biographie bin ich offen gesagt strikt dagegen. Es gibt Lebensläufe, die beschreibenswert sind, meiner ohne Interesse in sich selbst oder Relevanz für das Werk gehört nicht dazu.“ Jedenfalls, da er diese auch nicht verbieten könne, werde er „in keiner Weise […] kooperieren“. Dass 1996 (sieben Jahre nach Becketts Tod) diese Biographie dann doch mit seiner Zustimmung unter dem Titel Damned to Fame erscheinen konnte, war der Einsicht geschuldet, dass auf Knowlson wenigstens Verlass sei, dass das wissenschaftliche und öffentliche Interesse an Becketts Leben eine bestenfalls steuerbare, aber nicht zu verhindernde Tatsache geworden, eine Trennung von Leben und Werk bei seinem Berühmtheitsgrad nicht mehr zu haben sei. Mit seinem Wunsch, „auch das Leben wäre copyright-geschützt“, hebt er diese Trennung auf paradoxe Weise ohnehin selbst auf. Jedenfalls autorisierte er in seinem letzten Lebensjahr Knowlson in einem kurzen Schreiben: „Zur Biographie, von Dir geschrieben, hast Du mein Ja.“ (21. März 1989)

„Arbeite Du bis zum Umfallen, schlaf um jeden Preis und überlaß den Rest dem Fluß, der Dich weiterträgt und Dir andere, glückliche Tage bringt.“

Dieser Sinneswandel gilt auch der Frage, wie Beckett zu einer Veröffentlichung seiner Briefe stand. In einem Brief vom 9. April 1974 an seinen amerikanischen Verleger Barney Rosset, in dem es vordringlich darum geht, welchen „Krimskrams“ (worunter frühere kritische Schriften zu verstehen sind) er nicht in einem Sammelband veröffentlicht sehen will, heißt es auch: „Was die Veröffentlichung von Briefen betrifft, nie wieder, falls ich es verhindern kann.“ 1981 beklagt er sich zuerst noch brieflich, als er erfährt, dass Briefe, die er seinerzeit an Mary Manning Howe (eine Freundin von Jugendtagen an) geschrieben hat, verkauft worden sind; als er aber davon in Kenntnis gesetzt wird, dass dies aus einer finanziellen Notlage heraus geschah, entschuldigt er sich bei ihr mit einer Korrespondenzkarte; einige Monate später hofft er sogar, dass sie „einen guten Preis für die Briefe“ (27. Dezember 1982) bekommen habe. 1985 vertraute er der Schauspielerin und Publizistin Martha Dow Fehsenfeld, die in den 1970er-Jahren in einigen Beckett-Stücken mitgespielt hatte, die Edition seiner Briefe an. Am 18. März 1985 schreibt er: „Ich habe Vertrauen zu dir & weiß, ich kann mich darauf verlassen, daß du meine Korrespondenz in dem mit Barney vereinbarten Sinn bearbeitest, d. h. ihre Reduktion auf lediglich solche Passagen, die für mein Schaffen von Belang sind.“

Keine Idealprojektion

Die Herausgeber (Martha Dow Fehsenfeld, Lois More Overbeck, Dan Gunn und George Craig) versichern zwar in der Einführung zum letzten Band dieser insgesamt rund 3500 Seiten umfassenden, vierbändigen Ausgabe, dass sein Wunsch auf Einschränkung „so gut wie möglich respektiert werden mußte“, merken aber andererseits an, dass sie sich „nicht von dem Gefühl leiten [haben] lassen, ihren Autor ‚schützen‘ zu müssen“. Betont wird auch, dass sie „nicht dazu angehalten [wurden], irgendwelche Materialien zu unterdrücken, die der Idealprojektion eines moralisch und politisch korrekten Beckett entgegengestanden hätten.“ Dass etwa keine Briefe an seine Frau Suzanne abgedruckt worden sind, hat nur den „einfachen Grund, daß solche Briefe […] nicht erhalten geblieben sind“. (Erhalten geblieben sind aber Briefe, die sie im Auftrag Becketts an Verlage schrieb, von denen einige in Band 2 abgedruckt wurden.)

„Es gibt auch ein französisches Mädchen, das ich mag, leidenschaftslos, und das sehr gut zu mir ist. Das Spiel wird nicht überreizt.“

Dieses Fehlen von Briefen an sie ist insofern schade, als so (wenn man nicht die Anwesenheit der Abwesenheit als das Maß aller Dinge für Suzanne ins Treffen führen will) ein Ungleichgewicht zugunsten von Barbara Bray entsteht, über die es in den Kurzporträts im Anhang abschließend heißt: „Ihre Beziehung mit Beckett war intensiv und dauerhaft, obwohl sie nie zusammenlebten.“ Sie war Übersetzerin und Kritikerin, die beiden lernten sich 1958 kennen, als sie