Die Freiheit stirbt zentimeterweise

Von Diana Mairhofer

Dieser Beitrag entstand im Zusammenhang mit dem Online-Seminar „Literatur- und Kulturkritik schreiben“.

Online seit: 31. Oktober 2022

Spionageromane gibt es viele. Ob es sich hierbei um einen handelt, lässt sich abschließend nicht klären. Mit einer knappen Erzählweise, die in Kombination mit so mancher Ansammlung kurzer Sätze eine Unmittelbarkeit und Geschwindigkeit entstehen lässt, zeichnet sich der soeben erschienene Roman Punktlandung von Ute-Christine Krupp aus. Wir begleiten den Sicherheitsbeamten Paul Jost zu Sitzungen im Regierungsviertel, es gibt Insider-Informationen zu möglichen Anschlägen in Deutschland, Ziel ist unter anderem das Reichstagsgebäude. Jost ist neu in der Abteilung für Öffentliche Sicherheit und hat die Absicht, bald auf derselben Ebene wie sein Chef Giese zu arbeiten.

Die akute Bedrohung ob der Attentate tangiert ihn persönlich jedoch kaum, für ihn ist sie bloß ein Teil der Karriereleiter, die es zu erklimmen gilt. Was ihn an der Sache umtreibt, ist das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, Recht und Pflicht. Diese großen Fragen des Zusammenlebens werden in internen Diskussionen durchexerziert. Hier wird auch das erste Mal die Scheinheiligkeit der Figur Jost offensichtlich. Seine seit dem Studium bestehende Überzeugung, dass die Grundrechte über allem zu stehen haben, lässt ihn nicht selten an der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit zweifeln. Er ist mit seiner Meinung, Personen nicht bloß deshalb zu überwachen, weil sie in ein bestimmtes Raster fallen, allein auf weiter Flur. Nach und nach wird Jost jedoch klar, möchte er befördert werden, muss er seine moralischen Haltungen verwerfen, auch wenn das heißt, dass die Freiheit aller, wie Jost sinniert, zentimeterweise stirbt.

Die Autorin verwendet viele Worte auf Josts Privatleben. Rückblenden in die Vergangenheit mit Frau und Kindern sind zahlreich vorhanden, bleiben aber vage. Das Kennenlernen mit seiner künftigen Ex-Frau Gesine und die bevorstehende Schwangerschaft werden ebenso erzählt wie die Konflikte, die schließlich zur Scheidung führen. Stetig wird das Reizwort „Jugendweihe“ wiederholt. Die Tochter will zur Jugendweihe, Gesine, die aus einer Pastorenfamilie im Osten kommt, unterstützt sie, Paul, der aus einer bildungsbürgerlichen Architektenfamilie im Westen stammt, hat für den Wunsch seiner Tochter kein Verständnis. Am Ende bleiben diese Episoden halbherzig, die Argumente für oder gegen die Jugendweihe werden nicht ausgeführt. Dazu gibt es dann nicht mehr zu sagen als: „Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert.“

Es scheint also, wenn ein Konflikt erst einmal da ist, wird Jost ihn so schnell nicht mehr los. Es ist auch nicht so, dass die Familienthematik zum Abenteuer Online-Dating hinleiten, an dem Jost sich bald versucht, um eine neue Frau kennenzulernen. Auch diese Abschnitte bleiben ohne Kontur und sind austauschbar. Hier ließe sich allerdings eine gewagte Verknüpfung herstellen zum Motiv der Medien im Roman, das auch auf die Erzählperspektive übergreift. Diese wechselt kaum von Jost weg, wenn doch, so handelt es sich um eingeschobene Pressemitteilungen, Umfragen oder Abhörprotokolle. Die Unmittelbarkeit der Erzählweise wird durch die nüchternen Berichte, Protokolle und E-Mails gekonnt gebrochen. Allerdings ist es verwunderlich, dass Jost, dessen Berufsbeschreibung beinhaltet, Kommunikationswege zu kennen und zu überwachen, den Anstoß eines Kollegen braucht, um von der Möglichkeit des Online-Datings zu erfahren.

Neben den schon genannten internen beruflichen Diskussionen lernen wir also auch Josts detaillierte Gedanken und seine Auseinandersetzung mit sich selbst kennen. Es sind aber ebendiese ausufernden Reflexionen, die bald langatmig werden. Man versteht zwar besser, warum er so hartnäckig anderer Meinung ist als seine Kollegen, man versteht aber nicht, warum er es nicht schafft, diese Gedanken auch überzeugter auszuformulieren. Das ist eine Schwäche des Romans, die dann auch recht unglaubwürdig in eine folgenschwere Entscheidung mündet, als es unvermittelt heißt: „Lieber einen zu viel festnehmen als einen zu wenig!“ Dies ist noch nicht das Ende, könnte es aber gut sein.

Zugutehalten muss man diesem „Spionageroman“ seine erzählerischen Ambitionen, die schon erwähnten kurzen Sätze und die Unmittelbarkeit, die dadurch entsteht. Allerdings hätte dem Text weniger Jost und mehr Ermittlung gutgetan.

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