Er war der erste Vertreter der deutschen Belletristik, dem die seit 1901 verliehene Auszeichnung zuteil wurde: Den Nobelpreis für Literatur des Jahres 1910 erhielt Paul Heyse laut Begründung der Schwedischen Akademie „als Huldigungsbeweis für das vollendete und von idealer Auffassung geprägte Künstlertum, das er während einer langen und bedeutenden Wirksamkeit als Lyriker, Dramatiker, Romanschriftsteller und Dichter von weltberühmten Novellen an den Tag gelegt hat“. Der Nobelpreis für den Achtzigjährigen war so etwas wie der eingefrorene Posthornton des Ruhms, der Heyses literarische Karriere früh begleitete. In den Augen der zeitgenössischen Öffentlichkeit gehörte er zu jenen, die den Preis zu spät erhielten, zu einem Zeitpunkt, da ihre große Zeit längst vorüber war.
Nach ersten Erfolgen in den frühen 1850er-Jahren avancierte Heyse, damals Anfang zwanzig, bald zu einem der repräsentativen Dichter Deutschlands, war sowohl Bestsellerautor (etwa mit dem Romandebüt Kinder der Welt von 1873 über einen edlen Sozialisten), als auch Liebling der Connaisseurs, vor allem mit seinen Novellen, mit denen er einen prägenden Beitrag zur bevorzugten Gattung des bürgerlichen Realismus leistete. Er hielt diese Stellung nahezu unangefochten bis etwa 1880, als der von ihm abgelehnte Naturalismus zum Gegenangriff blies. Conrad Albertis Kritik mit dem Titel „Paul Heyse als Novellist“ in der Zeitschrift Die Gesellschaft (1889) lässt kein gutes Haar just an dem, was Generationen zuvor bewundert haben. Albertis Conclusio vertauscht das Feld der Ästhetik mit dem der Ethik und dehnt den ehrabschneiderischen Impetus gleich auf die Leserschaft aus: „Paul Heyse ist kein einzelner Mensch – er ist ein Symbol, die plastische Verkörperung der ganzen sittlichen Verkommenheit der deutschen Bourgeoisie, welcher die Gemeinheit, die Lüsternheit, die Frechheit, die Schamlosigkeit als das Ideal der Schönheit gilt. Heyse lesen, heißt ein Mensch ohne Geschmack sein – Heyse bewundern, heißt ein Lump sein.“
Sentimentaler Trödel
Blendet man zurück in Paul Heyses Anfangsjahre, findet sich dagegen kaum je eine kritische Stimme. Eine Ausnahme bildet hier die österreichische Dichterin und Kritikerin Betty Paoli, die der lobenden Erwähnung der Heyse’schen Novelle Die Blinden im Rahmen eines Preisausschreibens (1853) einiges entgegenzusetzen hat: zunächst die Wahl des pathologischen Gegenstands – ein blindes Mädchen und ein blinder Knabe – und das Bemühen des Autors, den „tiefen, blutigen, hoffnungslosen Riß“ zwischen Behinderten und Gesunden „mit allerhand sentimentalem Trödel zu überkleiden“. Sodann bemängelt Paoli „crasse Unnatur“, „affectirte Naivetät und romantisierende Albernheit“ in den Szenen, die auf verschlungenen Wegen zum Happy End, nämlich in den Hafen der Ehe zwischen den beiden Blinden führen. Die „Mängel und Schwächen dieser ganz und gar kindischen Composition“ lägen „so offen am Tage, daß es keiner kritischen Loupe bedarf, um sie wahrzunehmen“. Das „Darstellungstalent“ des Autors stehe „auf gleicher Höhe mit der Erfindungsgabe“, was nicht als Kompliment gemeint ist. Schlimmer noch: „Von den Hauptpersonen abgesehen, ist auch in den übrigen Gestalten nicht mehr Mark und Blut wie in den Tragantfiguren eines Zuckerbäckers; die Leute denken, fühlen, sprechen und handeln alle nach der vom Verfasser zugeschnittenen Schablone. Über das Ganze halten eine durch und durch unwahre Sentimentalität und ihre Lieblingstochter Langeweile die in Schlaf fächelnden Flügel ausgespannt.“
Nun könnte man Die Blinden als noch ungenügende Talentprobe eines jungen Autors betrachten, der es nach und nach zu immer größerer Meisterschaft bringen sollte. Aus demselben Jahr 1853 stammt allerdings Paul Heyses berühmteste Novelle L’Arrabbiata, die ebenfalls mit der zu Beginn unwahrscheinlichen ehelichen Vereinigung eines jungen Paares endet: Ein armes Mädchen in Sorrent, die titelgebende Zornige, hat geschworen, niemals zu heiraten, da sie die fortgesetzte Misshandlung ihrer Mutter durch ihren verstorbenen Vater erlebte. Als ein junger Fischer dem Mädchen während einer Bootsfahrt seine Liebe gesteht und dabei handgreiflich wird, beißt „l’Arrabbiata“ ihn und springt ins Meer, um schwimmend ans Ufer zu gelangen. Sie lässt sich aber vom reumütigen Schiffer dazu bewegen, wieder an Bord zu kommen, und besucht ihn des Nachts in seiner Kammer, um seine verletzte Hand zu verarzten. Dabei erklärt sie sich nun ihm: „Schlage mich, tritt mich mit Füßen, verwünsche mich! – oder, wenn es wahr ist, daß du mich lieb hast, noch, nach all dem Bösen, das ich dir getan habe, dann nimm mich und behalte mich und mach mit mir, was du willst.“ Nach diesem Freibrief und der wenig motivierten Zähmung der Widerspenstigen steht einer Heirat nichts mehr im Wege. Die Geschichte endet mit den launigen Gedanken des „kleinen Priesters“, der dem Mädchen zuvor wegen seines Eigensinns ins Gewissen geredet hat: „Ei, ei, ei! L’Arrabbiata!“
Thomas Mann hielt Heyse für einen „fast unanständig fruchtbaren Epigonen“.
Erotische Spannung und affektive Entladung, patriarchale Domestizierung und Unterwerfungslust, Idylle und pittoreske
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