Ein Gedicht aus dem Weltraum

Aus dem Tagebuch des Clemens J. Setz

Online seit: 22. Januar 2021

27. 10. 2019
Auf unserem Ausflug durch den Wald bei Salmannsdorf sahen wir einen Maulwurf! Sarah bemerkte zuerst ein bodennahes Geraschel, sie stand da und witterte wie eine Katze, dann sah sie etwas wie einen langen Wurm. Ich trat hinzu. Blätter bewegten sich auf der Erde. Dann plötzlich kam er hervor, der kleine Halunke: augenloser, spitzer Kopf, seitwärts gedrehte Schaufelärmchen, das Fell ganz samtig unterhalb der Staubschicht. – Etwas später, viel tiefer im Wald, auf einem der endlosen erhöhten Wanderwege rund um die Stadt, meldeten sich auf einmal Schafe. Sie lebten in einem kleinen Pferch neben einem Restaurant. Ein Schaf stand versonnen da und fraß einige frische Blätter vom Fell seines Nebenschafs. Aber wir waren immer noch vom Maulwurf besoffen und vermissten überall Maulwürfe. Es war der letzte warme Tag. Wir ehrten ihn gebührlich, inmitten der gold- und dunkelrot durchstrahlten Gärten.

30. 10. 2019
Vortrag von Rusty Schweickart, dem Lunar-Module-Test­piloten der Apollo-9-Mission, im Naturhistorischen Museum. Ein charmanter Erzähler, seine Rede ist ein leidenschaftlicher Appell an die Menschheit, die an dem Abend im Saal recht zahlreich versammelt war, jeder Platz besetzt, man stellte sich auch der Wand entlang auf. Das Highlight war eine Anekdote über einen Astronautenkollegen im Skylab, namens Joe. Seine Frau hieß Sue. Der Kollege übermittelte zum Geburtstag seiner Frau ein Gedicht, per Audiotape, ein altertümliches DAT-Band, glaube ich. Schweickarts Mission war es, das Band persönlich der Frau zu übermitteln. Es war nicht ganz einfach, denn man musste es händisch in die Abspielmaschine einfädeln. Und nun rezitierte er für uns das Gedicht – auswendig. Es geht darin um die eigenartig rasche Gewöhnung des Menschen an die Verhältnisse im Weltraum. Als wäre es unser „native state“, schwerelos zu sein. Ich habe mir von diesem äußerst schönen, einst im Weltraum entstandenen Gedicht nur die letzten beiden Zeilen merken können: „What if Man were in exile from the sky / and we were just remembering to fly?“

Meine Unfähigkeit, zu erzählen – den ganzen Tag warte ich den „rechten Augenblick“ ab, wo es vielleicht „aus mir sprudeln“ wird, so wie früher.

1. 11. 2019
ich fühl mich immer so endboss im föhn
die wolken sind plastisch und faltig und schön

sie haben ganz wehrsame leuchtende ränder
die sonne geht nämlich schon unter november

5. 11. 2019
Buchmesse Wien: Ich wurde von so einem Ahriman-Verlagsmensch vollgequatscht, dass sie ihr neuestes Hitler-war-schon-ziemlich-geil-Buch nicht mit Vortrag in Wien präsentieren dürfen, endlose Weinerlichkeit, dann verhedderte ich mich in einem Draht beim Scientology-Stand,