Schnee in Hernals

Aus dem Tagebuch von Clemens J. Setz.
„Er ging auf den Friedhof, um Namen zu tanken.“

Online seit: 16. Juni 2020

2. Dezember 2018
Nachbarskinder haben an einer Mauer einen Play-Button (oder das Symbol von Youtube?) aus Schnee gebaut. Bleib da mal innerlich heil, wenn du so was siehst. Wie gegenwärtig kann so ein Sonntag werden.

© Clemens J. Setz

Am Nachmittag dann Ausflug nach Hernals auf den Friedhof, zu Christine Nöstlingers Grab, um ihr zu erzählen, was alles so umgeht in unserem Land. Es dauerte allerdings ein bisschen, bis wir das Grab fanden, und es wurde rasch dunkel.

Gewaltig schrien die Krähen in ihrem Schlafbaum.

Hier auf den Friedhofswegen knarrt der Schnee noch ordentlich, wie so ein Schiffsbauch. Meine Seele wird zu einer wollenen Wärmflasche. Und die Sonne erahnbar hinter weißen Wolkenschichten, ein durchsichtig zerwehter Stehkragen.

Der Hernalser Friedhof wird, wie sich herausstellt, in der Mitte geteilt von einer steilen Rodelbahn, die auch tatsächlich, da in den letzten Tagen viel Schnee gefallen ist, voller kullernder brüllender Kinder ist. Rote Gesichter, brueghel’sche Körperhaltungen, aufrechte schwarzmäntelige Elternsäulen.

Die Namen auf den Gräbern verbinden sich automatisch zu Geschichten und Vermutungen. Ganz anders als bei den Namen auf Klingenschildern. „Er ging auf den Friedhof, um Namen zu tanken.“

Nach Nöstlinger gehen wir zu Konrad Bayer. Sein Grab ist sehr schlicht und unpersönlich, es steht nur „Familie Bayer“ darauf, nichts verrät etwas über den Dichter.

Welche Gräber bei den Krähen besonders beliebt sind, sieht man heute an den Spuren im Schnee. Nach Nöstlinger gehen wir zu Konrad Bayer. Sein Grab ist sehr schlicht und unpersönlich, es steht nur „Familie Bayer“ darauf, nichts verrät etwas über den Dichter. Ich zeichne ihm mit den Fingern eine Art Steckdosengesicht