Christoph W. Bauer: Lektürenotizen

Anmerkungen zu Jorge Luis Borges, Rafael Alberti, Gert Jonke, Guido Cavalcanti, Barbara Köhler, Raphael Urweider, Durs Grünbein, Gaius Valerius Catullus, Georg Trakl und Sor Juana Inés de la Cruz.

Online seit: 27. August 2022
Christoph W. Bauer © Fotowerk Aichner
Christoph W. Bauer. Foto: Fotowerk Aichner

Gaius Valerius Catullus: Gedichte
Es gibt Verse, die begleiten mich seit Jahren durch die Tage. Unvermittelt tauchen sie in mir auf, in den unterschiedlichsten Situationen, wie vorhin im Kaffeehaus, als ein Paar sich nach einem heftigen Wortwechsel unverwandt anstarrte. Sofort kam mir eines der bekanntesten Epigramme aus der antiken Literatur in den Sinn: „Ich hasse und ich liebe, warum, fragst du vielleicht / ich weiß es nicht, fühle es aber – und wie es mich zerreißt.“ Habe ich einen Vers im Kopf, fordert er mich oft dazu auf, nach dem Buch zu greifen, aus dem er stammt, also zog ich – wieder zu Hause – den Band mit Gedichten von Gaius Valerius Catullus aus dem Regal. Vielen seiner Verse sieht man die zweitausend Jahre nicht an, die seit ihrer Entstehung vergangen sind, sie führen Situationen vor Augen, wie sie wohl für Menschen aller Epochen und Generationen nachvollziehbar sind. Catulls Verse faszinieren mich durch ihre zupackende Art, sie wirken rau im Vergleich zu jenen seiner Nachfolger Ovid, Properz oder Horaz und sind dabei doch Ausdruck eines Dichters, der sein Handwerk anzuwenden weiß.

Guido Cavalcanti: Gedichte
So gar nicht rau sind die Gedichte des Guido Cavalcanti, sie folgen dem Programm des Dolce stil novo, und doch denke ich bei der Lektüre dieser Gedichte oft an das Epigramm von Catull, wenn Cavalcanti schreibt: „Ich weiß es nicht, warum mein Herz mich treibt / zu lieben, wenn es leidet / und Seufzer es bestürmen. Ach, es kann / mehr Gnade nicht erflehen und bleibt / der Lebenskraft entkleidet.“ Klar, Cavalcanti, der Zeitgenosse und Mentor von Dante Alighieri, bedient das Klischee des genretypischen Versagens vor der Liebe, mehr aber noch rückt er das Scheitern am Leben in den Mittelpunkt seiner Dichtung. An einer anderen Stelle heißt es bei ihm: „Zumal ich aus dem Tode schöpf mein Leben, / aus Schwermut Freude noch, / weshalb dann drängt mich doch / der Liebesgeist, der Liebe nachzugeben?“ Cavalcantis schmales Werk, gerade einmal 52 Gedichte umfasst es, erstaunt mich bei jedem Wiederlesen aufs Neue durch seine mitunter modern anmutende Metaphorik.

Sor Juana Inés de la Cruz: Gedichte
Freilich, dass ich mit meiner Lesart diverser Gedichte einem Trugschluss erliegen könnte, davor warnt mich Sor Juana Inés de la Cruz, vor mehr als zwei Jahrzehnten stieß ich über Octavio Paz auf die mexikanische Barockdichterin und Nonne. Seitdem lässt mich ihr Werk nicht los, eine ihrer Strophen fällt mir oft ein: „Dieses bunte Trugbild, das du vor dir siehst, / an dem der Maler höchste Kunst aufwendet, / damit du daraus falsche Schlüsse ziehst / und dir der Farben Pracht die Sinne blendet.“ Stehe ich vor einem Kunstwerk oder einem Werk der Künstlichkeit? Fragen wie diese werfen viele Gedichte Sor Juanas auf, sie sind für mich der Mehrwert, den ich aus diesen Gedichten ziehe, aus Sonetten, die wie aus einem Guss kommen und die für mich den Höhepunkt barocker Dichtkunst darstellen. Aber, und wieder muss ich mich hinterfragen, vielleicht ist mein Überschwang Sor Juanas Biografie geschuldet? Sor Juana stellt Fragen, sie strebt nach Wissen, wird wiederholt ermahnt, sich religiösen Themen zu widmen, sie hingegen pocht auf das Recht der Frau auf Wissen und Bildung, versucht sich zu widersetzen, wird zum Schweigen verdonnert – und verstummt.

Georg Trakl: Gedichte und Briefe
Biografien von Dichterinnen und Dichtern, so erkenne ich das heute, spielten vor allem bei meinen frühen Leseerfahrungen eine große Rolle. Was war ich als Gymnasiast nicht angetan von Georg Trakl. Vor allem seine Briefe begeisterten mich, eine Passage begleitete mich wochenlang: „Aber ich bin derzeit von allzu viel (was für ein infernalisches Chaos von Rhythmen und Bildern) bedrängt, als dass ich für anderes Zeit hätte, als dies zum geringsten Teil zu gestalten, um mich am Ende vor dem, was man nicht bewältigen kann, als lächerlicher Stümper zu sehen, den der geringste äußere Anstoß in Krämpfe und Delirien versetzt.“ Starkes Vokabular. Und im selben Brief, geschrieben an Erhard Buschbeck im Juli 1910: „Was für ein sinnlos zerrissenes Leben führt man doch.“ Das bespielte mein damaliges Lebensgefühl,