Neulich dachte ich an meine ersten Romane zurück. Damals war die Welt völlig in Ordnung, zumindest, was die Zukunft und die Umwelt betraf. Alle (ich rede von den Jahren 1995 bis 2005, oder genauer gesagt wohl bis 2008) waren völlig optimistisch, dass alles auf dem Weg hin zu einer totalen Besserung sei. Man schwärmte von quasi abgasfreien Automobilen, und sie wurden für einen winzigen historischen Moment sogar kleiner in Deutschland (natürlich nur, um anschließend noch viel größer zu werden).
Ein Wochenmagazin wie etwa die ZEIT war damals so grüngewaschen (obwohl es den Ausdruck vielleicht noch gar nicht gab), dass es eine individualverkehrsinkludierende Utopie ausrufen konnte. Alles würde miteinander vereinbar sein, Wiesen, Straßen, Blechkisten, gute Nahrung, gesunde Luft, glückliche Kühe, saubere Atomkraftwerke, für einen Moment sah die Welt aus wie wenige Jahre später die Autowerbung (luftige Landschaften, frohe Familie, blauer Himmel).
Wer an dieses Bild nicht glaubte, wurde noch regelmäßig öffentlich zerrissen als Finsterling, Misanthrop, Fortschrittsverweigerer oder gar, ganz übel, Zivilisationskritiker! Zeitungen wie die FAZ hatten einen guten, hauseigenen Grund dafür, denn sie hatten die Ressorts Wirtschaft und Finanzen. Die wussten immer, dass man den „Zivilisationskritikern“ das Feld nicht überlassen darf, wenn man in Form von Geld denkt (die Donaldisten als Dagobertisten). Solche wie die ZEIT wiederum entkräfteten Verweigerer- oder Ablehnungspositionen einfach kraft dieser oben skizzierten angenehm betäubenden Utopie, eigentlich Eschatologie. Damals stand kein „Wir schaffen das“ im Raum, damals war die allgemein beglaubigte Maxime „Eigentlich haben wir es schon geschafft“.
Wofür hat sich die breite deutsche Öffentlichkeit jemals wirklich interessiert, oder sagen wir, engagiert? Bei was geht es bei ihr ans Eingemachte?
Einschub: Die deutsche Öffentlichkeit kann sich natürlich mit hoher Energie für sehr viel interessieren und engagieren. Nehmen wir zum Beispiel ein ganz normales Helene-Fischer-Großkonzert. Das ist vom Preis her, von der Anstrengung her, die man unternehmen muss, von den Entbehrungen, die man auf sich zu nehmen hat (man könnte ja auch einfach auf dem Sofa sitzenbleiben), sicher mit einem Dreivierteltag Castortransport zu vergleichen. Ganz ähnliche Anstrengungen unternimmt die deutsche Gesellschaft auch jedes Wochenende, wenn es um Fußball geht. Oder diese Massenvolksverschiebungen nach Mallorca oder in die Türkei mehrfach im Jahr! Oder Oktoberfest! Also, wir Deutschen können durchaus Leistung zeigen, wenn wir wollen.
Wofür also hat sich die breite deutsche Öffentlichkeit – also der normale Mann auf der Straße (the white man) – zum letzten Mal interessiert, und bei welcher Gelegenheit hat sich diese Öffentlichkeit wirklich mal umfassend und kollektiv engagiert? Nein, ich meine jetzt nicht gegen die Flüchtlinge, ich meine vorher.
Das war, als SPD und Grüne an die Regierung kamen und die Grünen überlegten, den Spritpreis auf 5 Mark zu erhöhen. Da war was los im Land! Da haben selbst die Lasterfahrer demonstriert. Eigentlich war das die größte Mobilisierungskampagne meines Lebens. Es ging auch nur wenige Tage, seitdem galten die Grünen als geisteskrank und haben ziemlich lang gebraucht, sich davon zu erholen. Einen solchen Fehler werden sie nicht mehr begehen. Und genau ab da wurden die Autos ja auch größer als je zuvor. So antwortete der Deutsche darauf, dass man ihm ans Autofahren gehen wollte. Wenn ich heute wieder mal in Frankfurt bin und am Sachsenhäuser Berg zwischen den Kleingärten herumlaufe, passen auf den gemütlichen Strässlein keine zwei Autos mehr aneinander vorbei. Zwei, und es ist schon Stau. Ich genieße das jedes Mal.
Vor ein paar Tagen sagte meine Frau, die Autos röchen plötzlich anders. Mir ist das auch schon aufgefallen. Vielleicht die neue Software? Seit der Regierungs-Umprogrammierungs-Gebots-Stunde für die Autos ist dieser seltsame Geruch da. Die Autos hatten schon mal angefangen, anders zu riechen, das ist etwa zwanzig Jahre her. Plötzlich rochen sie nach Chlor. Oder so ähnlich. Der Geruch wirkte auf jeden Fall adstringierender als ein früherer, ganz normaler Benzinmotor.
Was waren das damals für Zeiten, also noch alles grün und gesund war, vor zehn, fünfzehn Jahren! Heute steht in allen Zeitungen, dass wir die innerstädtische Bevölkerung strategisch umbringen. Dass jeder, der hier mit seinem Auto herumfährt – beenden wir den Satz höflicherweise nicht. Zahlen stehen selbst in der FAZ. Es ist wie bei einer kollektiven Massenhinrichtung quer durch Europa, Jahr für Jahr. Neulich fragte sogar die FAZ, warum da die Politik nichts tue.
Ich finde es immer wieder beachtenswert, wie die Menschen innerhalb von zehn Jahren völlig vergessen können, was sie vorher gesagt und getan haben. Sie könnten sich ja wenigstens mal entschuldigen. Finsterling! Misanthrop! Fortschrittsverweigerer! Zivilisationskritiker!
Ich überlege schon seit über dreißig Jahren, mich mit einem Verbrennungsmotorblock auf die Gasse zu stellen und seine Abgase den nächsten Passantinnen und Passanten ins Gesicht zu blasen. Die Polizei hätte mich binnen fünf Minuten abgeholt, und vor Gericht würde es bestimmt lustig.
Neulich holte Martin Schmelter, ein Apfelweintrinker, seinen VW-Käfer aus der Garage. Er hat ihn seit über zehn Jahren rekonstruiert, nur Originalteile, jetzt kann er fahren, und wie er riecht! Er riecht nach Benzin. Einfach nach Benzin. Du riechst ihn schon aus zwanzig Metern. Wie in meiner Jugend (als ich zum ersten Mal die Motorblockfantasie hatte, das war übrigens auf meinem täglichen Schulweg in Friedberg in der Wetterau). Damals waren Autos wenigstens noch ehrlich.