„Beim schreiben auf die sprache gestoßen“

Was bleibt von Verena Stefan und den Frauen der Neuen Innerlichkeit? Von Almut Tina Schmidt

Online seit: 3. November 2020

Keine Frauen-WG ohne Häutungen: Verena Stefans Bestseller aus den Siebzigerjahren gilt immer noch als das Kultbuch des deutschsprachigen Feminismus. Der schmale Band mit der ungewöhnlichen Gattungsbezeichnung Autobiographische Aufzeichnungen, Gedichte, Träume, Analysen war das erste Buch der 1947 in Bern geborenen Physiotherapeutin, die lange in Berlin lebte, dort auch einige Semester Soziologie und Vergleichende Religionswissenschaft studiert hat. Bedeutsamer für ihre intellektuelle Entwicklung war allerdings die Frauenbewegung. Von 1972 an engagierte sie sich in der Gruppe „Brot und Rosen“, in diesem Kontext entstanden ihre ersten Texte. Häutungen, erschienen im neu gegründeten Verlag Frauenoffensive, wurde mit einer Gesamtauflage von etwa 500.000 Stück zu einem Überraschungserfolg, hinter dem ihre späteren Veröffentlichungen weit zurückblieben. Stefan starb 2017 in Montreal. Ihr Debüt ist immer noch gelegentlich Gegenstand von literaturwissenschaftlichen Abschlussarbeiten, bis heute war Häutungen nie vergriffen. Aber ist das überhaupt noch lesbar?

„Es war längst nicht mehr eine frage von liebe.“ Mit dieser starken Ansage geht die neunzehnjährige Ich-Erzählerin in Verena Stefans Häutungen ihre sexuelle Initiation an – ohne Illusionen, ratlos und überfordert. Der Erzählstil wird dem Leidenschaftspegel gerecht: „,Also gut‘, meinte er, dem plötzlichen bedürfnis nach einem koitus erliegend.“

Lektorat und Textkritik haben zwar unvermeidlich etwas Repressives, gelegentlich aber auch ihre Notwendigkeit.

Ihre Bedürfnisse bleiben im Dunkeln. Internalisierte Zwänge deuten sich in rationalisierenden Phrasen an: „die unerfahrenheit konnte schließlich nicht ewig andauern“, „mann würde mich als vollwertig behandeln“. „When I was nineteen, pureness was the great issue“, kommentiert die Erzählerin in Sylvia Plaths The Bell Jar ungleich lapidarer ihre obsessiven Versuche, ihre Jungfräulichkeit zu überwinden.

Verena Stefan © privat
Verena Stefan: Teerituale, Menstruationswahrnehmungsprotokolle und Unterweisungen auf dem Weg zum wahren Feminismus.

Mit Mitte zwanzig wird die Protagonistin von Häutungen sich wundern, warum sie sich so lange zu heterosexuellen Beziehungen verpflichtet gefühlt hat, und