Eine Ikone gelangt bis Nördlingen
Unter Verstoß gegen Zollgesetze verschiedener Länder ist eine Ikone nach Nördlingen gelangt. Oben trägt darauf ein Engel den Kopf des Pilatus, der von einem Heiligenschein umgeben ist, gen Himmel. Unten im Bild wird Pilatus geköpft. Kaiser Tiberius (oben rechts im Bild auf seinem Thron) hat nämlich nach dem 3. April des Jahres 33 n. Chr. Nachricht erhalten von der Exekution des Heilands durch Pilatus. Sogleich wird der Statthalter vom Kaiser nach Capri zitiert. Noch in der Nacht seiner Ankunft wird er enthauptet. In den letzten Stunden vor seinem Tod aber hat sich Pilatus zu Christus bekannt. Daher gelangt der Kopf des Pilatus in den Himmel. Das Bekenntnis des Pilatus ist auch der Grund für den Nimbus, der sein vom Körper gelöstes Haupt auszeichnet.
Unter dieser Darstellung links sieht man den Pharisäer, der für den Tod von Jesus die entscheidende Stimme abgab und danach Anklage gegen die Angehörigen des Gesalbten, Maria und Joseph, zu erheben versuchte. Er steckt in einem Sack, was die römische Strafart des „Säckens“ darstellt. Das wasserdurchtränkte Leder wird der Wüstensonne ausgesetzt und presst dem Delinquenten die Eingeweide aus dem Leib. So soll jeder erfahren, was seine Taten wert sind.
Das einzigartige Bild ist noch rechtzeitig vor Weihnachten in der deutschen Stadt eingetroffen und soll dem Bürgermeister nach den Feiertagen überreicht werden.
* * *
Jesus und Pilatus /„Den Prozess vor dem Statthalter hat es nicht gegeben“
Alexander Demandt im Gespräch mit Alexander Kluge
ALEXANDER DEMANDT Pilatus kennen wir besser als Jesus durch die Parallelquellen. Die Situation in Jerusalem, die Passahgeschichte, kennen wir nur aus den Evangelien. Sie hat also im Bewusstsein der Zeit eine eher geringe Rolle gespielt. Dennoch ist sicher, dass eine historische Erfahrung zugrunde liegt. Die Evangelien berichten teilweise von Geschichten, die von vielen Leuten gesehen wurden, die Kreuzigung war öffentlich. Die Tempelreinigung war öffentlich. Der Einzug in Jerusalem war ebenfalls öffentlich und die Szene vor dem Praetorium auch. Das sind Dinge, die man in der späteren Zeit durchaus erkennen konnte. Wir haben in dieser Phase immer wieder Leute, die gegen die römische Besatzung, gegen die römische Herrschaft aufgetreten sind, teilweise auch mit militanten Mitteln, sodass es nachvollziehbar ist, dass die jüdischen Behörden gesagt haben: „Jetzt kommt schon wieder so ein Räuberkönig, der den Frieden mit den Römern bedroht. Pilatus, leg bitte die Hand auf den Mann und lass ihn verschwinden.“
ALEXANDER KLUGE Gegen Hochverrat, gegen jemanden, der sich rühmt, König der Juden zu sein, gibt es Gutachten und ein Gesetz.
DEMANDT Wer behauptet, König zu sein, und damit die Militärhoheit beansprucht für seine Anhänger ist ein Hochverräter. Die Militärhoheit lag beim Kaiser.
KLUGE Wie geht eine Verhandlung vor sich, wenn der Statthalter da ist. Er kann sich direkt mit Jesus nicht verständigen.
DEMANDT Das war auch nicht nötig. Pilatus sprach wahrscheinlich Griechisch, aber nicht Aramäisch, nicht die Sprache von Jesus. Ob Jesus Griechisch konnte, ist problematisch. Überhaupt ist diese Begegnung zwischen Pilatus und Jesus eine nachösterliche Tradition. In meinem zweiten Buch über Pontius Pilatus habe ich die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass diese Begegnung, so wie sie bei Johannes steht, nicht stattgefunden hat. Pilatus hat auf die Anzeige der Hohen Priester hin Jesus beseitigt, ohne Prozess, ohne Verhandlung, ohne Diskussion. Was in den Evangelien überliefert wird, soll hinter verschlossenen Türen stattgefunden haben. Woher wusste man dreißig oder vierzig Jahre später, was gesprochen wurde? Da war kein Dolmetscher, kein Protokollant dabei. Aber es sind Dinge gesagt worden, die für das Selbstverständnis der Gemeinde wichtig waren, zum Beispiel das Bekenntnis von Jesus: „Ich bin der Messias, ich bin der König der Juden, ich bin der Christus.“
KLUGE Es gibt die Geschichte der Frau von Pontius Pilatus.
DEMANDT Die Sache mit Claudia, der Frau des Pilatus, ist eine Legende, ein Verzögerungseffekt im ganzen Prozess. Man kann erkennen, dass die ältesten Nachrichten bei Markus knapp sind. Im Laufe der Tradition bis zu Johannes wird der Prozess immer gewaltiger, immer dramatischer, immer länger und immer spannender.
Dieses Wort des Pilatus, „Kreuzigt ihn“, hat die Weltgeschichte verändert. Die Zufälligkeit, die an diesem einen Wort hängt, macht die Sache spannend.
KLUGE Bei Ihnen gibt es das Interesse für kontrafaktische Fragen. Sie könnten sich als Historiker durchaus vorstellen, dass Pilatus ihn nicht zum Tode verurteilt hätte, sondern zum Beispiel zur Verbannung.
DEMANDT Pilatus war frei in seiner Entscheidung. Das reicht vom Freispruch bis zur Kreuzigung. Dieses Wort des Pilatus, „Kreuzigt ihn“, hat die Weltgeschichte verändert. Die Zufälligkeit, die an diesem einen Wort hängt, macht die Sache spannend.
KLUGE Wäre Jesus freigesprochen worden, wäre er ein Rabbi gewesen und es wäre kein Aufwand entstanden um ihn.
DEMANDT Er wäre sicherlich nach dem Passah zurückgegangen nach Nazareth, nach Galiläa, hätte da wahrscheinlich eine kleine Gemeinde gehabt, wäre einer der Anführer der vier oder fünf jüdischen Sekten geblieben. Wir haben damals die Pharisäer, die Sadduzäer, die Essener, die Qumran-Gemeinschaft, die Therapeuten, da wäre Jesus
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