Als Referendar im juristischen Vorbereitungsdienst bewarb ich mich 1956 beim Kulturpolitiker und Rechtsanwalt Hellmut Becker. Er hatte seine Praxis in Kressbronn am Bodensee. Er galt als der „geheime Kultusminister der Bundesrepublik“. In seinem Auftrag entwickelten Jürgen Habermas, der Reformpädagoge Wolfgang Edelstein, Alois Schardt und ich den Entwurf für das spätere Institut für Bildungsforschung der Max-Planck-Gesellschaft, deren Gründungsdirektor Becker war.
Die Erfahrungen von Beckers Anwaltspraxis und aus dem, was ich an Reform-Elan und über Organisation von ihm lernte, waren später mitentscheidend für die juristische Untermauerung des Jungen Deutschen Films nach 1962 und für die Errichtung unabhängiger Fensterprogramme im privaten Fernsehen nach 1989. Im hier abgedruckten Rundfunkgespräch geht es um das Buch Kulturpolitik und Ausgabenkontrolle, das ich zusammen mit Hellmut Becker schrieb. Wir haben das Buch verfaßt aufgrund der Pressionen, die von den Rechnungshöfen im Interesse von Sparsamkeit und instrumenteller Rationalität auf Kultur, Bildung und Wissenschaft auf Kosten von Inhalten ausgeübt wurden.
Zur Nomenklatur: Mein Taufname ist Ernst Alexander. Ernst nach meinem Vater, Alexander in Anlehnung an meine Mutter, die mit Vornamen Alice heißt. Die Mitglieder des Domclubs in Halberstadt bestanden darauf, daß in meinem Taufnamen der Name Alice angedeutet wäre. Es gibt aber kein männliches Pendant. Daher leihweise und anklangweise Alexander. Genannt wurde ich als Kind aber Axel. Nach meiner ersten Buchveröffentlichung, den Lebensläufen, setzte sich mein tatsächlich gebrauchter Name Alexander endgültig durch. „Anpassung und Widerstand“ ist einer der Leitsätze, die Hellmut Becker in seinen energischen Interventionen zur Bildungsreform in den Jahren vor 1962 verwendete. Wie alles Denken von Becker geht es nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Gleichgewicht.
***
Zwei Briefe
Ernst Alexander Kluge
Frankfurt/Main, den 13. März 1956
Jügelstrasse 1
Herrn
Rechtsanwalt Hellmut Becker
Kressbronn/Bodensee
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Becker,
von gerichtswegen wurde ich gefragt, wann ich meine Rechtsanwaltsstation antreten könnte. Diese Station soll 4 Monate dauern. Als Termin käme der 15. Juli in Betracht. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir schon jetzt Nachricht gäben, ob Sie mich dann gebrauchen können.
Wie ich Ihnen schon sagte, verliere ich auch dann nichts, wenn Sie sich nicht um mich kümmern können. In diesem Fall weiss ich mich vollauf selbst zu beschäftigen.
Die Ausbildung muss, wie ich höre, bei einem Rechtsanwalt und bei einem Notar erfolgen. Beides kann dabei getrennt gehen. Für den Fall, dass Sie nur Rechtsanwalt und nicht auch Notar sind – hier in Frankfurt konnte mir das niemand mit Sicherheit angeben –, hätte ich gern gewusst, ob Sie irgend einen Notar kennen, der unverbindlich und möglichst auch für mich unverbindlich meine nebenhergehende Notarausbildung übernehmen könnte.
Mit herzlichen Grüssen
Ihr
Alexander Kluge
***
11.12.1956
Herrn
Referendar Axel Kluge
Frankfurt am Main
Studentenwohnheim
an der Bockenheimer Warte
Lieber Herr Kluge,
nur schnell zwei Mitteilungen:
1. Melden Sie sich doch mal bei Horkheimer, er hat bisher keine Wiedergutmachungs-Anträge gestellt, weil er die ganze Sache unerfreulich fand. Jetzt hat er aber die Vorstellung, daß er vielleicht doch Nachzahlungen erhalten sollte. Bitte rufen Sie ihn doch mal, am besten so gegen 10 Uhr vormittags, in seiner Wohnung an und sagen Sie ihm, daß Sie der zu mir gehörende Kluge seien und ob Sie ihm in dieser Frage einmal die nötigen Auskünfte geben könnten.
2. Bei Herrn Jürgen Habermas habe ich Sie angemeldet, damit Sie sich dort ein Exemplar der Universitätsstudie abholen können. Ich möchte gern, daß Sie ihn dabei selbst kennenlernen. Habermas sagte mir, daß Sie die Studie schon zitieren könnten. Seine eigene Einleitung ist lesenswert.
Herzlichst
Ihr
Hellmut Becker
(nach Diktat abgereist)
E. Olbrich, Sekretärin
***
Rechnungsprüfung und Kulturpolitik
Gerd Kadelbach, Hellmut Becker und Alexander Kluge im Gespräch (Hessischer Rundfunk, 1.6.1961)
GERD KADELBACH: Meine sehr verehrten Zuhörerinnen und Zuhörer. Die Öffentlichkeit ist in den letzten Jahren im zunehmenden Maße dadurch aufgeschreckt worden, daß hohe Staatsdienststellen offenbar mit dem Gesetz in der Weise in Konflikt gerieten, daß man ihnen nachweisen konnte, ihre Rechnungsführung habe nicht exakt gestimmt. Das ist noch ein harmloser Fall der Beanstandung. Häufiger sind Bestechungsaffären und andere recht schwerwiegende Delikte großen Kreisen der Bevölkerung bekannt geworden. Erstaunlich ist, daß diese Skandale, um es deutlich auszusprechen, sich auf allen möglichen Verwaltungsgebieten bisher abgespielt haben, daß aber im großen und weiten Feld der Kulturpolitik kaum irgendwelche nennenswerten Fiaskos oder Katastrophen registriert werden mußten. Ein paar kleinere Dinge sind auch größeren Kreisen zur Kenntnis gelangt, beispielsweise die Erörterung darüber, ob die Gelder des Honnefer Modells, die also Studierende unterstützen sollen bei ihrer Ausbildung, zweckentfremdet verwendet wurden. Aber im allgemeinen kann man sagen, daß auf dem Feld der Kulturarbeit und der Kulturpolitik die Dinge glatt über die Runden gegangen sind. Nun ist auch für die Kulturarbeit eine große und beträchtliche Summe alljährlich zu investieren. Wir wissen, daß es viel zu wenig ist, was im einzelnen ausgegeben wird, daß noch immer schulische Schwierigkeiten oder unzulängliche wissenschaftliche Forschungsergebnisse damit motiviert werden, daß nicht genug Geld da ist. Es wird aber eine beträchtliche Summe öffentlicher Gelder, Steuergelder, in die Kulturarbeit investiert. Das macht erforderlich, daß die sinnvolle Verwendung dieser Gelder auch kontrolliert wird, kontrolliert im Sinne des Steuerzahlers, der wissen will, was mit seinem Groschen geworden ist. Zu Beginn dieses Jahres ist ein Buch erschienen, das zwei Rechtsanwälte bearbeitet, herausgegeben und geschrieben haben. Dieses Buch betitelt sich Kulturpolitik und Ausgabenkontrolle und beschäftigt sich mit der Frage, wie die Rechnungsprüfung bei der Kulturarbeit zu Werke geht, auf welche Probleme sie dabei stößt und welche Schwierigkeiten entstehen. Die Autoren dieses Buches sind Rechtsanwalt Hellmut Becker und Rechtsanwalt Alexander Kluge. Hellmut Becker, der in vielen kulturellen Institutionen ist, hat eine umfassende Kenntnis der Praxis der Ausgabenkontrolle sammeln können, da er sowohl bei privaten Schulen als auch bei Volkshochschulverbänden als auch bei einer Reihe von wissenschaftlichen und kulturell arbeitenden Gesellschaften tätig oder engagiert ist. Was ihn nun zu diesem Buch bewegt hat und was Alexander Kluge zur Mitarbeit und zur Sammlung des Materials bewegt hat, wollen wir in den Mittelpunkt unserer heutigen Sendung und unserer Diskussion mit den beiden Autoren stellen. Ich sprach eben, Herr Becker, von der Notwendigkeit, daß Kontrolle öffentlicher Gelder stattfindet. Auch Sie werden eine solche Notwendigkeit keinen Augenblick lang in Frage stellen wollen.
Die Rechnungsprüfung ist ein Kontrollinstrument, das der Staat im 18. Jahrhundert geschaffen hat.
BECKER: Im Gegenteil, es ist gerade im kulturellen Bereich, wo von der Kontrolle oft Menschen betroffen sind, die aus der Intensität ihrer geistigen Arbeit heraus zunächst einmal keinen Sinn für die Notwendigkeit dieser Kontrolle haben, besonders wichtig, grundsätzlich die Notwendigkeit der Rechnungskontrolle über die Ausgaben öffentlicher Mittel klarzustellen. Meine Sorgen, die zu diesem Buch geführt haben, sind andere. Sie sind nicht die paar Skandalfälle,
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