DIETER BANDHAUER Welches war das erste Buch, das du übersetzt hast?
GERRIT BUSSINK Das war ein Glücksfall: Peter Handkes Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Ich wollte als Germanistikstudent nicht unbedingt Lehrer werden und als ich auf einer Verlagsfete auf einen Lektor gestoßen bin, der mich fragte, ob ich auch übersetze, habe ich prompt „Ja“ gesagt und bekam eine Probeübersetzung von Handkes Buch angeboten. Das war 1972. Das klappte, und damit war ich nicht nur Handke-, sondern überhaupt literarischer Übersetzer.
BANDHAUER Mittlerweile hast du wie viele Bücher übersetzt?
BUSSINK Mindestens 175.
BANDHAUER Das bedeutet im Schnitt vier Titel pro Jahr. Ausschließlich Belletristik? Und ausschließlich Prosa?
BUSSINK Nur ganz wenige Sachbücher. Anfangs waren auch etliche Hörspiele dabei, eine Gattung, die in Holland inzwischen fast ausgestorben ist; und auch ein paar Theaterstücke, zum Beispiel Botho Strauß’ Groß und klein und Empedokles von Hölderlin.
BANDHAUER Wie blickst du heute auf die Qualität deiner Übersetzungen der Anfangsjahre zurück?
BUSSINK Jeder Anfänger macht Fehler und ich habe viele gemacht. In den letzten Jahren habe ich einen Auszug aus Handkes Tormann bearbeiten müssen und eine vollständige Überarbeitung meiner Übersetzung von Franz Josef Degenhardts Zündschnüre gemacht, beide aus den Siebzigern. Was mich am meisten dabei entsetzte, ist, wie sehr ich früher am deutschen Text festgeklebt bin. Jeder niederländische Satz sah und hörte sich an, als wäre es ein deutscher Satz. Zu jener Zeit wurden die beiden Übersetzungen gelobt, heute würde man sie verreißen. Daran merkt man, wie sehr sich die Haltung zur Übertragung verschoben hat. Es war damals eine falsch verstandene Treue am Text.
BANDHAUER Wie kann man einem Text untreu werden?
BUSSINK Indem man vom Sinn abweicht, aber nicht wenn man ihn adäquat den Erfordernissen der eigenen Sprache anpasst.
BANDHAUER Kannst du dafür einige Beispiele anführen?
BUSSINK Ein deutscher 15-Zeilen-Satz muss im Niederländischen nicht ein ähnlich langes Satzgebilde ergeben. Die deutsche Grammatik erlaubt komplizierte Sätze, die trotzdem verständlich sind. Das Niederländische ist etwas einfacher gestrickt, zum Beispiel ist es unüblich, Hauptsätze mittels Komma zu einem Satz zu verbinden. Oder: Deutsche Sätze fangen oft mit Nebensätzen an. Ein Beispiel: „Dass er gestern nicht kommen konnte, habe ich schon vor zwei Wochen gewusst.“ Man kann diesen Satz buchstäblich übersetzen, aber was nicht falsch ist, ist nicht unbedingt richtig. Macht man das nämlich fünfmal kurz hintereinander, dann beginnt der niederländische Text deutsch zu riechen, wie wir zu sagen pflegen.
BANDHAUER Von wegen Satzgebilden – ich weiß, dass du Thomas Bernhard übersetzt hast …
BUSSINK … herrliche Texte, aber sie leben nicht von der komplexen Satzstruktur, sondern von der Ironie und vom Wiederholungsprinzip. Wenn er in Wittgensteins Neffe auf zwei Seiten zehnmal die Neue Zürcher Zeitung in voller Wortlänge wiederholt, weil er in der Provinz vergeblich versucht, an sie heranzukommen, dann ergibt das eine Textmelodie und keine Kompliziertheit. Wiederholungen sind im Niederländischen ein genauso adäquates Stilmittel wie im Deutschen.
In der deutschen Sprache wird übrigens gerne fäkal geschimpft, in der niederländischen genital.
BANDHAUER Gibt es bei zwei Nachbarländern (und Österreich ist ja auch nicht weit weg) kulturelle Unterschiede, die man als Übersetzer berücksichtigen muss?
BUSSINK Man übersetzt nicht nur Sprache, sondern gleichzeitig Kultur. Zur Verdeutlichung zwei prägnante Phänomene:
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