Die Robert Walser Stiftung vergibt 2020 zwei Preise: Sie gehen an Thilo Krause für Elbwärts (Hanser Verlag, 2020) und Anne Pauly für Avant que j’oublie (Editions Verdier, 2019). Thilo Krause, geboren 1977, lebt in Zürich, Anne Pauly, Jahrgang 1974, lebt in Paris.
Begründung der Jury für Thilo Krause: Der Robert Walser-Preis 2020 wird an Thilo Krause verliehen für sein im August im Hanser Verlag erscheinendes Romandebüt Elbwärts. Krause erzählt auf höchst eindringliche und sprachlich stimmige Weise von der Rückkehr an den zugleich vertrauten und fremd gewordenen Ort der Kindheit im Elbsandsteingebirge nahe der tschechischen Grenze und von der unvermeidlichen Konfrontation mit einem die Existenz überschattenden, in Schweigen eingemauerten Jugendtrauma. In Bildern von großer dichterischer Intensität gelingt es Krause, das Eintauchen-Wollen in eine unwiederbringlich verlorene, nicht mehr zu berichtigende Vergangenheit sinnlich fassbar zu machen.
Die deutschsprachige Jury bildeten unter dem Vorsitz von Stefan Humbel (Bern) Jürg Altwegg (Perly), Andreas Langenbacher (Bern), Camille Lüscher (Lausanne), Anne Weber (Paris).
Begründung der Jury für Anne Pauly: In ihrem Romanerstling Avant que j’oublie entfaltet Anne Pauly mit bemerkenswerter Geschmeidigkeit, Komik und Poesie die vielfältigen Facetten einer gerade verschwundenen Vaterfigur, die tausend Unwägbarkeiten der Trauer und die verschiedenen Stadien des „psychischen Hinunterschluckens“, wie sie es nennt, die die Kinder des Verstorbenen nacheinander durchlaufen müssen. Sie spürt der verletzlichen Persönlichkeit des verstorbenen Vaters auf eine einfühlsame und witzige, aber auch kompromisslose Art und Weise nach, fern jeder anbetungswürdigen Ikone ebenso wie vom rachsüchtigen Porträt. Mit bissigem Humor seziert sie alles rund um die Trauer und mischt absurde Inventare der Überreste des gesamten Lebens eines Mannes, halbtörichte Rituale und eine Galerie skurriler Figuren, alle so zerbrechlich, weil so wahr. Mit tiefer Ironie drückt sie Zweifel, Schuldgefühle, Niedergeschlagenheit und die Ohnmacht aus, auf heitere Weise mit allem fertig zu werden, aber auch Trauer, unverfälscht, einfach, aufrichtig. Avant que j’oublie verbindet Oralität mit kunstvoll literarischer Sprache in einem nuancierten, flüssigen und lockeren Stil. In seiner ganzen Haltung, dem akkuraten Ton, dem zügigen Rhythmus, der Tiefgründigkeit und dem schrägen Blick hat dieser Roman die französischsprachige Jury des Robert Walser-Preises voll überzeugt.
Die französischsprachige Jury bildeten unter dem Vorsitz von Aline Delacrétaz (Lausanne), Stéphane Dubois-dit-Bonclaude (Genève), Noëlle Revaz (Bienne), Malika Wagner (Montmorency) und Muriel Zeender Berset (Belfaux).
Die Verleihung der Preise findet am 24. Oktober 2020 um 18 Uhr im Farelhaus in Biel/Bienne statt.