Neulich herrschte hier ein eigenartiger Zustand. Ich gehe ja gern in Kneipen und auf Märkte. In Frankfurt (ich wohne nicht mehr in Hamburg) kann man das gut, und Leute wie ich haben da einen Wochenrhythmus. Montags etwa ist unser Montagsstammtisch. Dienstag bin ich meist mindestens in der Apfelweinhandlung Jens Becker, mittwochs auch. Donnerstag ist Markt auf der Konstablerwache. Freitags ist Schillermarkt. Samstags ist wieder Markt auf der Konstablerwache. Es kommen eigentlich immer die gleichen Leute hin. Stets dazwischen eingestreut: Buchscheer, Momberger, Wagner, Gemaltes Haus, Klaane Sachsehäuser etc. In letzter Zeit gehe ich auch gern zum Schorsch auf der Textorstraße, eine Bierwirtschaft. Der besagte Zustand entwickelte sich über etwa zwei Wochen. Als ich mich an einem Donnerstag auf der Konstablerwache befand, war es knallvoll wie immer, nur stand diesmal ein stadtbekanntes Gesicht, das eben noch für zwei Wochen im Ausland zum Après-Ski gewesen war, mit seltsamen rosa Plastikhandschuhen deutlich abseits von den anderen in einem toten Winkel herum. Es wurde geredet, gemunkelt. Keiner wollte an diesem Abend nach Hause gehen, also trafen wir uns später noch am Kiosk am Matthias-Beltz-Platz. Dort war es auch knallvoll.
Idyllen geschehen flankiert von Katastrophen. Das wusste schon Kleist. In anderen Ländern wären wir vielleicht hingerichtet worden.
Am nächsten Tag spürte man nahezu greifbar etwas in der Stadt. Eine Art Torschlusspanik. Wir versammelten uns am Markt auf dem Friedberger Platz. Voll war es nicht, aber es war ein schöner Abend, nur schauten wir uns alle permanent ratlos an und wurden von den Passanten ebenfalls seltsam angestarrt. Am nächsten Tag las ich etwas über Verrückte in Frankfurt, die sich noch immer auf dem Friedberger Platz versammelten. Meine Frau sagte zu mir: Zu diesen Verrückten gehörst du.
Ich ging zur Apfelweinhandlung Jens Becker, ich ging in die Buchscheer, ich ging auf die Konstablerwache, dort konntest du plötzlich nur noch Apfelwein zum Mitnehmen kaufen. Leute, mit denen ich sprach, sagten: Die ziehen das am Ende wirklich durch!
Dann kamen die ersten Verordnungen. Alle meine Gaststätten durften nur noch bis 18 Uhr geöffnet haben. Die Buchscheer, die in diesen Tagen ein wichtiger Ort wurde, machte nun ganz folgerichtig schon ab 12 auf, nicht erst wie üblich wochentags um 16 Uhr. Kaum jemand setzte sich noch zu anderen an den Tisch. Ich nahm einen Kanister mit und stellte mich testweise nach 18 Uhr damit an eine Stange in der Nähe der Straßenbahnhaltestelle. Dort gibt es eine kleine, nette Wiese mit Blümchen darauf, und es steht dort eine Reihe von Metallstangen, etwas höher als hüfthoch, in einigem Abstand. (Damals war das Wort Abstand noch ganz jungfräulich, quasi noch ein unspezifisches Alltagswort, bei dem niemand sich etwas dachte.)
Ich stellte mein Apfelweinglas auf eine der Stangen und mich daneben. So stand ich dort, allein mit mir, trank noch ein bisschen und fuhr dann nach Hause, um mit meiner Frau einen Küchenplan für die nächsten Tage zu machen. Jeden Tag erschien ich am frühen Nachmittag in der Buchscheer und blieb bis zum Schluss. In der zweiten Wochenhälfte machte sich dasselbe Gefühl wie eine Woche vorher breit, nur diesmal potenziert. Es wurde geredet, gemunkelt, und am Donnerstag, Freitag kam plötzlich ziemlich großer Zulauf, das erneute Gefühl von Torschlusspanik.
Monate lebten wir an der Stange. Die Verbote wurden drastischer, wir blieben an der Stange. Die Zeichen kamen ins Gesicht der Menschen, wir waren an der Stange.
Gerüchte machten die Runde. Dinge konnten geschehen. Welche? Überall nun Mund-zu-Mund-Propaganda. Angeblich hätten „sie“ angeordnet, dass
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