Fragebogen: Juri Steiner

Literaturkritik heute

Online seit: 17. Januar 2016

Was sehen Sie als die primäre Aufgabe der Literaturkritik heute?
Neugierde zu übertragen. Zu zeigen, dass Lesen eine ebenso spontane wie langsame Kulturpraktik mit großem Impact ist. Und dass man Schriftstellerinnen und Schriftstellern mit dem nötigen Respekt begegnen soll.

Was sind die größten Herausforderungen/Probleme für die Kritik heute?
Schwarmintelligenz.

Spielen literaturwissenschaftliche Theorien eine Rolle für Ihre Tätigkeit als KritikerIn?
Ich versuche immer noch zu verstehen, warum Roland Barthes den Autor umgebracht hat.

Welche LiteraturkritikerInnen schätzen Sie am meisten? Für welche Qualitäten?
Stefan Zweifel, wegen seines Brios und der privaten Nachlesen.

Wie viele Bücher muss ein/e KritikerIn gelesen haben, um kompetent urteilen zu können?
Mehr als zehn, weniger als tausend? Gourmet vor Gourmand. Qualität vor Quantität.

Wie viele Neuerscheinungen lesen Sie pro Jahr?
Mehr als zehn, weniger als hundert?

Welche AutorInnen haben Sie mit 15 geschätzt?
John Lennon, Simenon, Serner, Glauser, Goethe, Frisch, Miller (Henry), Hesse und Salinger of course.

Welche AutorInnen schätzen Sie heute?
Spinnen of course.

Was lesen Sie, wenn es nicht mit dem Beruf zu tun hat?
Graffitis, Bildlegenden, Le petit Nicolas und Tintin, Kaltenbach, Thoreau und Simenons Rezept für die „Blanquette de Veau“ (Kalbsfrikassee).

Haben Sie in Ihrer Laufbahn als KritikerIn je ein Urteil grundlegend revidieren müssen?
Simenons „Blanquette de Veau“ ist wunderbar als Text, in der Realität aber zu schwer.

Juri Steiner, geboren 1969 in Zürich, lebt als selbständiger Kurator und Kulturvermittler in Lausanne. Er ist seit 2009 für das Schweizer Fernsehen SRF (u.a. Literaturclub und Sternstunde Philosophie) tätig. Zuletzt gab er gemeinsam mit Stefan Zweifel den Ausstellungskatalog Expedition ins Glück. 1900 – 1914 (Scheidegger & Spiess) heraus.

Quelle: VOLLTEXT 2/2015