„Ich bin vierzig Jahre aus Kanaan hinausgewandert“

Norbert Gstrein über Franz Kafkas Roman Das Schloss.

Online seit: 1. August 2018
Franz Kafka, Otto Brod
Franz Kafka mit Otto Brod – dem jüngeren Bruder von Max – 1909 in Italien. Foto: Max Brod: „Franz Kafka: Eine Biographie“

„Manchmal ist mir wie einem Gladiator im Training,
er weiß nicht, was man mit ihm beabsichtigt,
aber nach dem Training zu schließen, das man ihm auferlegt,
wird es vielleicht ein großer Kampf werden vor ganz Rom.“
(Aus einem Brief Franz Kafkas an Max Brod)

Das Schloss von Franz Kafka zu lesen oder überhaupt etwas von diesem Autor zu lesen, als gäbe es die ganze Rezeptionsgeschichte nicht, kann bald hundert Jahre nach seinem Tod noch dem naivsten Leser kaum gelingen. Zu stark ist die Definitionskraft des Werkes, zu stark auch die Vorstellung dessen, was ein Schriftsteller ist oder was er sein könnte, von seiner Person geprägt, zumindest ein bestimmter Typus Schriftsteller, als dass nicht jeder nur ein bisschen Interessierte in irgendeiner Form davon gehört hätte. In Kafkas eigenen Worten ist dieser Typus Schriftsteller „der Sündenbock der Menschheit, er erlaubt den Menschen, eine Sünde schuldlos zu genießen, fast schuldlos“.

Neben dem vielstrapazierten Begriff „kafkaesk“ müsste es längst ein nach Kafka benanntes Verfahren der Herstellung von Paradoxien geben. Es müsste eine Kafkasche Zahl wie die Eulersche Zahl oder die Zahl Pi geben, die den ganz eigenen Brechungswinkel bestimmt, unter dem sein Blick die Wirklichkeit verrückt, sowie einen eigenen Kafkaschen Gefühls- und Seinszustand, der diese Mischung aus Höflichkeit, Scham, Pedanterie, Zwanghaftigkeit und Zurücknahme der eigenen Person bis zur Selbstauslöschung bei gleichzeitiger unbedingter Integrität im Umgang mit sich und der Welt beschreibt. Selbst das paradoxe Ideal des nicht schreibenden oder vielmehr nicht publizierenden Autors – denn „ein nicht schreibender Schriftsteller ist allerdings ein den Irrsinn herausforderndes Unding“ – als höchste Existenzstufe jedes Schreibenden mag immer schon eine romantische Vorstellung gewesen sein, ist aber am Ende am stärksten von Kafka besetzt.

Kafka ist der wohl am meisten heiliggesprochene Autor der Literaturgeschichte und gleichzeitig einer der wenigen, die alle Heiligsprechungen unbeschadet überstanden haben. Kaum eine andere Autorenbiografie,