Wozu braucht der Mensch schon einen Toaster? Bei einer Barschaft von 17,70 Euro, die bis zum Monatsende reichen muss, lässt sich auch amorphes Weißbrot verzehren. Doch wenn ein Küchengerät eine derart phantasievolle Besitzerin hat wie die Journalistin und Schriftstellerin Sophie, dann darf es erwarten, dass ihm vor seinem schnöden Verkauf auf einer Online-Plattform noch ein Abschiedsdrama auf den metallenen Leib geschneidert wird, einschließlich eines Dialogs mit der missgünstigen Zitruspresse. Diese fürchtet ebenfalls ihre Ausmusterung. Mit der Strenge eines Generals schreitet die junge Frau ihr winziges Appartement ab und sucht nach Entbehrlichem: „Die Gegenstände zitterten, kaum richtete ich mein Auge auf sie. Mich nicht! Mich auf keinen Fall!, schienen sie zu rufen. Das Los fiel auf den Jüngsten, der sich an die hiesigen Gepflogenheiten angepasst hatte und auf leeren Magen ein Stück von Jean Racine las.“ Da kann der „hitzelnde Schnittenwärmer“ noch so elaboriert im klassischen Versmaß klagen, sein Schicksal ist besiegelt. Gewidmet ist das Buch unter anderem „den Ausgehungerten, den Träumern, den Nudelessern und den ‚Niedergeschlagenen‘“.
Im Jahr 2017 über Hunger in einer scheinbar wohlhabenden Stadt wie Lyon zu schreiben, ist ungewöhnlich. Sophie Divry liebt solche Provokationen. „Ich war selbst einmal arbeitslos und habe Sozialhilfe bezogen, was mich diese Situation und die damit verbundenen bürokratischen Umstände unmittelbar erfahren ließ. Trotzdem habe ich ausdrücklich nicht all das erlebt, was im Buch dargestellt wird, ich wollte allerdings den Eindruck vermitteln, dass es autobiographisch ist – es sollte so etwas wie eine Falle für die Leser sein.“
Der Anschein des Autobiographischen dient also dazu, die traditionelle Romanform aufzusprengen? Ihre Antwort fällt konzilianter aus: „Die Absicht ist, den Leser zu fangen, indem man scheinbar von sich erzählt, zumal dieses autofiktionale Schreiben in Frankreich sehr in Mode ist. Aber ab der dritten Seite bemerkt man, dass die Worte irgendetwas Beliebiges bedeuten können, dass der Teufel auftaucht und der Toaster zu sprechen beginnt. So wird dem Leser klar, dass es nicht um Selbsterlebtes geht, sondern um die Erfahrung des Prekariats und des literarischen Delirierens, die ich damit vermitteln wollte. Es ist ein Spiel mit Erwartungen und mit einem autobiographischen Literaturtrend in Frankreich, der mir überhaupt nicht liegt.“
Im knallroten Buchumschlag von Als der Teufel aus dem Badezimmer kam sind zwei Satanshörner ausgeschnitten. Sie gemahnen an die teuflischen Aspekte der Not, die bereits der erfolglose Feuilletonist und Dachkammerbewohner in Knut Hamsuns autobiographisch grundiertem Roman Hunger mit hypnotischer Eindringlichkeit beschrieb. Als er seine Miete nicht mehr bezahlen kann, irrt er mit einer geliehenen grünen Bettdecke durch die Stadt und kann sich gerade noch zurückhalten, das fremde Eigentum zum Pfandleiher zu bringen. Denn mit dem überwachen Verstand des Hungernden spürt er: „Im Abgrund der Hölle gingen die argen Teufel umher und verschnauften sich vor Ungeduld, weil es so lange dauerte, bis ich eine Kapitalsünde beging, eine unverzeihliche Sünde, für die mich Gott in seiner Gerechtigkeit hinabstoßen musste …“
Sophie hat ihre Redakteursstelle bei einer defizitären Tageszeitung verloren. Sie meldet sich arbeitslos und schreibt an einem Roman. Als eine exorbitante Heizkostenrechnung hereinflattert, wird ihre Lage im heutigen Lyon jener Hamsuns im Kristiania des Jahres 1890 erschreckend ähnlich, jener Stadt, „die keiner verlässt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist“.
Doch solche unheimlichen Prophezeiungen sowie Lamenti aller Art liegen Sophie Divrys sympathischer Idealistin fern. Sie definiert sich als „Kind der Mittelschicht am ländlichen Rand einer alten Industrienation“. Mit vierzig ist sie zu stolz, ihre Familie um Hilfe zu bitten, nutzt nur einmal die Taufe eines Neffen, um sich ein paar Tage lang bei ihrer Mutter satt zu essen. Sophie kostet das freie Dasein bis zur Neige aus, lebt mit Hunger und Einsamkeit: „Es fällt uns normalerweise nicht auf, aber letztendlich ist jede Handlung mit einer Ausgabe verbunden. Wer spazieren geht, steigert seinen Appetit. Wer sich mit Freunden trifft, muss unter Umständen einen ausgeben.“ Außerdem legt sie akribisch Listen an – über Männer, die für sie wegen verschiedenster Marotten nicht in Frage kommen oder über das „nicht tun“, das ihr der leere Geldbeutel auferlegt: „Nichtkaufen, nichtausgehen, nichthabenwollen, nichtmetrofahren“.
Politik und Literatur
Sophie Divry wurde 1979 in Montpellier geboren. Aus der Ferne schwärmen Autorin und Romanfigur von dessen mediterraner Atmosphäre: „Anderswo nimmt man Blau einfach als Himmel wahr, ohne zu ahnen, dass man darin gehen kann. Hier macht sich das Blau breit, nimmt den ganzen Raum ein.“ Mit jedem ihrer bislang fünf Bücher hat sich Divry auf literarisches Neuland gewagt. So ist etwa La Condition pavillonaire („Das Reihenhaussyndrom“) über eine konsumsüchtige junge Frau komplett in der Du-Form gehalten und erinnert entfernt an Flauberts Madame Bovary. Sophie Divry arbeitete bei der antikapitalistischen Monatszeitschrift La Décroissance, die sich gegen Wirtschaftswachstum und Konsum stellt, und war in deren Sinne politisch aktiv, bis sie sich ganz dem Schreiben zuwandte.
Heute engagiert sie sich für die Bewegung „La France insoumise“ (Unbeugsames Frankreich) des streitbaren Linkspolitikers Jean-Luc Mélenchon: „Als Journalistin und Radikalökologin hatte ich immer weniger Zeit für das literarische Schreiben. Jetzt als Schriftstellerin muss ich sehr konzentriert und sehr egoistisch sein, auch sehr alleine. Von Zeit zu Zeit klebe ich Plakate, aber ich kann nichts Großes machen, außerdem bin ich nicht mehr zwanzig“, sagt sie mit einem Lachen, das jedoch sofort verfliegt, wenn die Rede auf Emmanuel Macron und dessen „neonapoleonisches“ Gebahren kommt: „Er hat seine Präsidentschaft damit begonnen, die Beihilfen für die Armen um fünf Euro monatlich zu senken, was für die Betroffenen sehr problematisch ist. Im Gegenzug hat er den Wohlhabenden einen Großteil an Steuern erlassen. Je mehr sich die Situation verschlechtert, desto stärker zeigt sich die Obszönität der Reichen und die Ausbeutung der Armen. Aber ich glaube auch nicht, dass Macron es leicht haben wird – umso besser!“
In aller Entschiedenheit wendet sie sich gegen eine Individualisierung der Armut in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit in Frankreich: „Es ist eine Frage des Stolzes und der Würde: Wie greift Armut die Würde an oder greift sie eben nicht an, wenn man Hilfe findet. Das ist ein heftiger Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft. Die Frage, die ich in meiner Literatur erörtern möchte, ist die, wie man es alleine und wie man es zusammen mit anderen schafft. Es gelingt nur gemeinsam oder gar nicht.“
Das hörnerbewehrte Buch mit seinem Untertitel „Ein Improvisationsroman voller Unterbrechungen und ohne Anspruch auf Tiefgang“ ist in drei Teilen angelegt, die jeweils mit barock anmutenden Vorsprüchen eingeleitet werden. Tagebucheinträge, der typographisch vielgestaltige Briefwechsel mit Sophies liebeskrankem und ebenfalls arbeitslosem Musikerfreund Hector finden Eingang in diesen Roman, der deutlich von den Stilexperimenten des Nouveau Roman beeinflusst wurde; außerdem Listen, Herzen, Flecken, Buchstabenhaufen sowie figurative Gedichte nach Art der Konkreten Poesie – etwa in Birnen- oder Phallusgestalt. Nicht jugendfreie Seiten, die Hectors heftiges Stelldichein mit einer Nachbarin schildern, sind mit einem gestrichelten Rand zum Ausschneiden versehen.
Bei Als der Teufel aus dem Badezimmer kam handelt es sich um den formal innovativsten französischen Belletristiktitel, der seit Langem in deutscher Übersetzung erschienen ist. „Ich wollte unbedingt, dass dieses Buch ein Fest, ein Spiel sein sollte“, erklärt seine Verfasserin: „Denn der Roman ist die literarische Gattung, die alles einfangen und in sich hineinfressen kann. Ich habe mich von Raymond Federman inspirieren lassen, der lustige Sachen gemacht hat. Und wenn man beim Lesen auf eine derart typographisch ausgefallene Seite stößt, dann gibt das dem Text eine unglaubliche Energie zurück. Das bringt einen zum Lächeln und steht für eine gewisse Freiheit.“
Mal was ganz anderes
Sophie Divrys Verlag Les Éditions Noir sur Blanc ist im schweizerischen Lausanne beheimatet, nicht weit von ihrer Wahlheimat Lyon. Gegenüber der Kapitale Paris, die – trotz aller Dezentralisierungsbestrebungen – alles an sich zieht, hegt die gebürtige Südfranzösin ein prinzipielles Misstrauen: „In Frankreich, wo die Literatur sehr ernst und sehr pariserisch daherkommt, haben die Leute zunächst Angst, dass Experimente nicht funktionieren oder die Leser einschüchtern könnten. Und das glaube ich gerade nicht, im Gegenteil: Die Leser freuen sich, dass es endlich mal etwas ganz anderes gibt.“
In einem Bonusteil auf schwarzem Papier führt die Autorin jene Schriftsteller auf, die „am meisten zitiert, geplündert oder zersetzt wurden“. Ob Guillaume Apollinaire, Karl Marx oder Knut Hamsun: Hier fahren sie alle kreuz und quer Autoscooter, dass es das reinste Vergnügen ist. Ausdrücklich zu loben sind Sophie Divrys deutscher Verlag Ullstein, die Übersetzerin Patricia Klobusiczky, die auf der Suche nach Entsprechungen auch deutsche Barockdichter heranzog, sowie Satz und Herstellung für den Import dieses gesellschaftskritischen, verspielten und frivolen, kurz: teuflisch roten Fanals aus Lyon.