Die Robert-Walser-Preise 2024 gehen an Lorena Simmel für Ferymont (Verbrecher Verlag 2024) und Emma Doude van Troostwijk für Ceux qui appartiennent au jour (Les Éditions de Minuit 2024). Die Preise sind mit je 20.000 Franken dotiert und werden für Erstlingswerke in Prosa in deutscher und französischer Sprache vergeben.
Begründung der Jury für Lorena Simmel: In Ferymont begibt sich eine Erzählerin für ein knappes halbes Jahr ins Dreiseenland am Jurasüdfuss und kehrt so gleichzeitig in die Landschaft ihrer Schweizer Kindheit zurück. In den Gewächstunneln und auf den Feldern verdient sie sich als landwirtschaftliche Hilfskraft für eine Saison ihr Studiengeld. Behutsam gesellt sich die namenlose Protagonistin aus Berlin zur Gemeinschaft der mittel- und osteuropäischen Saisonarbeiter:innen, die Jahr für Jahr auf die Höfe zurückkehren.
Lorena Simmel schreibt einen leise vibrierenden, scharf beobachtenden Roman, der die Ökonomie der Gefühle stets im Blick behält. Aufmerksamkeit, Informiertheit, Neugierde, Geduld und vor allem stilistische Sorgfalt treten an die Stelle von Pathos. In der landwirtschaftlichen Saisonarbeit kommt dabei ein nach wie vor nur selten beleuchteter Themenkomplex zur Sprache. Als träten mit jeder Figur, jedem Stimmungsbild und jeder erzählten Erfahrung unbehandelte Sedimente einer kulturellen Landschaft zutage, die ebenso historisch wie aktuell ist.
Die deutschsprachige Jury bildeten Stefan Humbel, Rebecca Gisler, Sabine Graf, Sibylle Marti, und Wiebke Porombka.
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Begründung der Jury für Emma Doude van Troostwijk: Ceux qui appartiennent au jour erzählt einige Wochen im Leben einer niederländischen Pastorenfamilie, die sich in Nordfrankreich niedergelassen hat, und gibt dabei Einblick in eine Familiengeschichte, die sich über drei Generationen erstreckt. Auch wenn das Leben der Familie von Krankheit, Müdigkeit und Zweifel geprägt ist, verzichtet der Text auf Pathos oder Traurigkeit. Die Jury war einhellig von der einzigartigen Schönheit dieses Buches berührt, das eine Folge von leuchtenden Bildern darbietet, in denen das Leben aufglüht.
Die Sprache von Emma Doude von Troostwijk überzeugt durch ihre Bildhaftigkeit und ihren Einfallsreichtum. Das Spiel mit niederländischen Ausdrücken führt zu häufigem Blickwechsel der Leserinnen und Leser. Zerbrechlichkeit, Verlust, aber auch die Freuden im Kreis der Familie werden mit eindringlicher Einfachheit sichtbar gemacht. „Im Französischen hängen sie nur an einem Faden. Im Niederländischen gehören sie dem Tag. Het zijn mensen van de dag.“ Ein originelles und subtiles Buch, dessen Tiefgang und Feingefühl die Jury bewegt haben.
Die französischsprachige Jury bildeten Muriel Zeender Berset, Thierry Hesse, Valérie Meylan, Arno Renken und Henri-Michel Yéré.