„Eisenschrott wird lediglich
von uns allen zurückbleiben –
Und das ohrenbetäubende, spöttische Gelächter
der Generationen“
(Aus dem Gedicht „Lied“ von Tadeusz Borowski)
Der polnische Lyriker, Prosaist und Feuilletonist Tadeusz Borowski (1922–1951) überlebte drei Konzentrationslager: Auschwitz, Dautmergen-Natzweiler und Dachau. Sein Leben beendete er mit dem Selbstmord, nur wenige Tage nach der Geburt seiner Tochter. Den Gaskammern der Nazis war er entkommen, aber für seinen Suizid wählte er trotzdem das Gas, das er in seiner Warschauer Wohnung aufgedreht hatte. Was ihn zu seinem Suizid veranlasst haben mag, sorgt bis heute für Spekulationen. Die Enttäuschung über den Kommunismus? Eine unglückliche Liebe (er war wieder verliebt)? War er als stalinistischer Schriftsteller und Propagandist am Ende? Oder haben ihn die Erinnerungen an die Hölle des Vernichtungslagers Au-
schwitz in den Tod getrieben?
Im polnischen Bartoszyce, wo ich in den Siebzigerjahren zur Schule gegangen bin, war Borowski auch bei uns zu Hause Pflichtlektüre. Eine populäre Auswahl seiner Erzählungen aus den beiden Prosabänden Der Abschied von Maria (1947) und Die steinerne Welt (1948) sowie aus seiner Lyrik stand in der Bibliothek meiner Mutter, einer in unserem Städtchen bekannten Polonistin, in guter Nachbarschaft, nämlich zusammen mit anderen Büchern der Literaten, die über die Schrecken der deutschen Okkupation und ihrer Folgen in Polen geschrieben haben: Zofia Nałkowska in ihren Medaillons, Roman Bratny in seinem Generationsroman Kolumbus Jahrgang 20, Jerzy Andrzejewski in seinem phänomenalen Nachkriegsroman Asche und Diamant, Tadeusz Różewicz in seinem Gedicht „Der Gerettete“ und in anderen Gedichten, Krzysztof Kamil Baczyński in seiner Kriegslyrik oder Seweryna Szmaglewska in ihrem literarischen Bericht Rauch über Birkenau.
Aber die Titel der Geschichten von Borowski machten mir, damals einem Jungen von dreizehn Jahren, Angst: „Willkommen in Auschwitz“ oder „Meine Damen und Herren, zum Gas bitte“ klangen bedrohlich, wussten wir doch alle, dass dieser Ort im Zweiten Weltkrieg die Hölle auf Erden gewesen war, obwohl er, nach 1945 in „Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau“ umbenannt, in der Nähe einer der schönsten Renaissancestädte Europas liegt, nämlich bei Krakau. Ich komme aus Ermland und Masuren, unser KZ-Museum, das wir im Norden gut kennen, heißt Stutthof. Aber nach Oświęcim fuhren auch wir aus dem hohen Norden, vornehmlich bei diversen Ausflügen von Betrieben und Schulen. Borowski war jedenfalls Schullektüre und ein literarischer Held der jungen Generation wie Baczyński, der ungemein talentierte Dichter, der wie seine große Liebe Basia im Warschauer Aufstand gefallen war. Ich spreche hier von einer tragischen Dichtergeneration, den um 1920 Geborenen, die wie Baczyński oder Borowski durch die Apokalypse der Okkupation, des deutschen Terrors auf polnischem Boden, gehen mussten.
Man könnte sagen, dass die Lagererfahrung in Borowskis Familie eine Art roter Faden ist.
In der Bibliothek meiner Mutter fehlte bloß ein Name, aber er war uns auch bekannt und wir lasen ihn – vor allem nach der Wende: Gustaw Herling-Grudziński. Er gehörte ebenso zu Borowskis Generation und schrieb ein ganz anderes Lagerzeugnis: Welt ohne Erbarmen, erschienen 1951. Hier schildert er seine Gulag-Lagererlebnisse, das andere Böse, das jedoch seinen Ursprung in einem totalitären und ideologisierten Staat hat. Herling-Grudziński, der nach 1945 Emigrant und „Kosmopole“ in Neapel wurde und erst 2000 starb, hatte allerdings ganz anders als Borowski den stalinistisch-sowjetischen Totalitarismus von Anfang an durchschaut und sich auf eine Liaison mit ihm nicht eingelassen.
Borowskis Leben wäre vermutlich ganz anders verlaufen, wenn er nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen geblieben wäre, lebte er doch als ehemaliger KZ-Dachau-Häftling bis Mai 1946 in München, zwar zunächst wieder in einem Lager als eine sogenannte „Displaced Person“ (wie im Übrigen auch meine polnischen Großeltern mütterlicherseits bei Hannover), aber nach Polen hätte er nicht zurückkehren müssen. Er schrieb in München Prosa und Lyrik und blickte auf den Straßen in die Gesichter der Deutschen und begriff nicht, warum sie noch am Leben waren und warum München weitgehend unzerstört geblieben war – während noch vor kurzem jeder dieser Passanten, egal ob Arbeiter oder Adliger, eine Bestie in der schwarzen Uniform mit einem Toten-
kopf auf der Schirmmütze gewesen sein konnte, die „Untermenschen“ ermordet hatte.
Borowski und Różewicz, die beiden gnadenlosen Zerstörer polnischer Nationalmythen, welche die Überlebenden im Kontext von Heldentum oder Patriotismus auf ein heiliges Piedestal erhoben, bemühten sich nach 1945 in der Tat um eine Ausreise. Heute kann man es sich kaum vorstellen, aber Borowski wollte in den USA sein Glück versuchen, wissen wir doch, dass aus dem jungen Dichter, der 1942 mit den Gedichten Überall auf Erden debütierte und sich dann der Prosa widmete, Ende der Vierzigerjahre ein unerschrockener, zynisch-nihilistischer Feuilletonist im Dienste der kommunistischen Partei geworden war.
*
Tadeusz Borowski kam am 12. November 1922 in Schytomyr in der Ukraine zur Welt. Er hatte einen vier Jahre älteren Bruder, und die Eltern der beiden wurden von den Sowjets inhaftiert und verschleppt: der Vater Stanisław 1926 an die Grenze zu Finnland, und zwar aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer polnischen Militärorganisation, die Mutter Teofila 1930 nach Sibirien. Man könnte sagen, dass die Lagererfahrung in Borowskis Familie eine Art roter Faden ist, als hätte sich das Schicksal vorgenommen, den jüngsten Sohn auf die Gefangenschaft in den deutschen Konzentrationslagern vorzubereiten. Über Kiew und Moskau
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