„Augen auf beim Planetenkauf“

Lektürenotizen von Verena Roßbacher zu James Wattersons Calvin und Hobbes, Jan Faktor, Dirk Stermann und Bernd Stegemann

Online seit: 27. August 2023

Bill Watterson: 
Calvin und Hobbes. Von Ferien, Fischen und fiesen Mädchen

Im Zuge der literarischen Früherziehung vor einigen Wochen angefangen, dem Kind (sieben) Calvin und Hobbes vorzulesen, manches versteht sie noch nicht (egal), beim Rest wirft sie sich weg vor Lachen: sehr gut! Sie kann damit büchertechnisch nicht mehr auf die ganz falsche Bahn geraten. Vielleicht auch insgesamt, lebenstechnisch.

Neulich zitierte sie Calvin das erste Mal im freien Feld („Augen auf beim Planetenkauf!“) und ich dachte wohlgefällig, aus der wird mal noch was. Sollte es auf der Welt lustigere, gescheitere und ganz insgesamt bessere Comics geben, so kenne ich sie jedenfalls nicht. Calvin, so verschlagen, so vollgestopft mit Ideen und Plänen, insgesamt so nerdig und nervig, seine gebeutelten Eltern – zwangsläufig schon sehr abgebrüht und dennoch immer wieder am Rande des Nervenzusammenbruchs –, Hobbes (das Fusselhirn), weise und unberechenbar, ich weiß wirklich nicht, ob irgendjemand auf wenigen Seiten mehr Witz und Esprit unterbringt als Watterson. (Dabei erinnere ich mich mit Erschütterung an ein Erlebnis mit meinem Vater vor einigen Jahren. Er war damals schon sehr krank und verlangte nach aufmunternder Lektüre. Nachdem ich fassungslos feststellen musste, dass er Calvin und Hobbes nicht kennt, habe ich ihm sämtliche Bände vorbeigebracht und konnte dann mit wachsendem Entsetzen dabei zusehen, wie er Seite um Seite mit ungerührter Miene umblätterte. Er könne, teilte er mir mit, nicht nachvollziehen, was daran witzig sein solle, ihm sage das einfach gar nichts, ob ich das lustig fände, echt? Mir war, als würde ich meinen Vater nicht mehr erkennen, als hätte ich mich in ihm getäuscht. Heute denke ich, vielleicht war das, weil er im Grunde damals schon im Sterben lag. Er lag im Sterben und ich wollte es nicht wahrhaben.)

Wie auch immer. Vielleicht ist mein Vater der einzige Mensch auf der Welt, der Calvin und Hobbes nichts abgewinnen konnte. Aber vielleicht sollte man sie auch einfach lesen, bevor der Tod im Zimmer steht. Wir jedenfalls fahren mit der Weiterbildung fort, und jeder, wirklich jeder, der zufällig vorbeikommt und ein bisschen mithört, sagt anschließend: Ich muss dringend mal wieder Calvin und Hobbes lesen. Das muss man wirklich. Wer weiß, was morgen ist.

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Dirk Stermann:
Maksym 

Immer, wenn ich wem wo sage: Maksym von Dirk Stermann ist ein gutes Buch, winken alle ab. Den Stermann, sagen alle, hab ich so im Ohr, von Willkommen Österreich und und und, von dem kann ich nichts mehr lesen, er geht mir schon auf die Nerven, wenn ich nur an ihn denk. Überhaupt, sagen alle, hat der Stermann seinen Zenit überschritten. Da ich seit Jahr und Tag kein Willkommen Österreich mehr geschaut habe, bin ich frei von solchen Sorgen und das ist schön, denn Maksym ist ein gutes Buch und vielleicht umso mehr, wenn man nicht den Stermann im Ohr hat. Vielleicht hat er abseits vom Bücherschreiben seinen Zenit überschritten, ich kann das nicht beurteilen, im Bücherschreiben jedenfalls hat sich allerhand getan bei ihm, ob es schon der bücherschreibende Zenit ist, kann ich aber auch nicht beurteilen. Weil ich Maksym ein gutes Buch fand, habe ich mir diverse andere, frühere Bücher von ihm angeschaut, die ich allesamt nicht besonders finde, wiewohl sein Sechs Österreicher unter den ersten fünf ein enormer Erfolg war. Es ist schon auch sehr lustig, und das ist ja nicht nichts, aber es wirkt ein bisschen, als würde er noch üben. Da er, wie gesagt, sehr lustig ist, schaut man ihm auch beim Üben ganz gerne zu, aber mit dem Blick zurück kann man das zumindest mit Sicherheit sagen: Vom Zenit war er damals noch ewig weit entfernt.

Die historischen Sachen von ihm finde ich fad, die Humoristischen überzogen mit einer starken Tendenz zum Blödeltum, das funktioniert auf lange Strecke nicht. Maksym ist eine Art Fortsetzung von den Sechs Österreichern, immer wieder greift er Protagonisten von damals auf oder erzählt eine Episode weiter. Auch Maksym handelt von Stermann selbst und Stermann ist im Buch wahnsinnig beschäftigt, mit Willkommen Österreich, er sorgt kurzum dafür, dass ganz Österreich ihn im Ohr hat und darum seine Bücher nimmer lesen mag. Seine Frau teilt ihm dann mit, dass sie übrigens nach New York geht, sie hat da ein Jobangebot – ich weiß nicht mehr, für ein Jahr oder zumindest ein halbes. Sohn Hermann (ja okay, Hermann Stermann ist sehr geblödelt), ein Kindergartenkind von vier Jahren, soll bei seinem wahnsinnig beschäftigten Vater bleiben. Kein Problem, denkt der sich munter, nehm ich halt einen Babysitter. Der Weg dorthin ist dann – angesichts der über vierzig (ausschließlich weiblichen) Bewerbungen – bemerkenswert holprig. Sie sind zu vierschrötig („… sah aus, als könne sie eine Kuh hochheben“), zu schmollmundig oder überhaupt verdächtig jung, oder womöglich gar Brillenträgerin („Was ist deine Sorge, dass sie zu sehbehindert ist, um Hermann auf dem Spielplatz zu finden?“ – „Ich weiß nicht, aber ich hätte lieber eine ohne Brille. Ist nur so ein Gefühl.“ Man ahnt, dass der Weg zur erfolgreichen Kindsbetreuung ein steiniger sein wird), Stermann vertagt das Ganze und tourt weiter durch die Gegend, schwätzt mit diesem und jenem und hüpft geschmeidig da in ein erinnertes Gespräch und dort in eine Anekdote, und wie er das hinkriegt, also: das Geschmeidige daran, das hat mir ehrlich zu denken gegeben. Wie macht er das? Wo nimmt er jeweils die Abzweigung? Wieso habe ich schon wieder nicht mitgekriegt, wo er plötzlich vom Weg abkommt? Wie verbindet er dieses irgendwie erschöpft wirkende Komikerleben (hat er womöglich wirklich seinen Zenit überschritten?) mit den Gesprächen über seine späte Vaterschaft und allerlei anderen Kram und schafft es dennoch, eine süffige, kohärente Geschichte zu erzählen? Sehr geschickt macht er das (da hat sich das Üben gelohnt, denke ich allenthalben).

Wie auch immer, Frau Nina stellt – die Zeit drängt immerhin – irgendwann jemanden ein, und zwar einen Mann namens Maksym („Suche Arbeit. Mache alles.“), einen Ukrainer, der aussieht wie die Karikatur eines Türstehers, und wirklich übt er sodann mit Sohn Hermann boxen und Bärenkämpfe im Käfig und was man halt sonst noch so können sollte im Leben. Fortan wohnt er in Stermanns Arbeitszimmer, kümmert sich hingebungsvoll um den Sohn und irgendwann dann auch hingebungsvoll um den Vater, und der hat es dann auch nötig, weil ihm nämlich sein Leben um die Ohren fliegt. Man könnte dieser Geschichte vorwerfen, dass sie vorhersehbar ist, aber ich werfe ihr das nicht vor. Man könnte ihr alles Mögliche vorwerfen, aber wieso sollte man. Sie ist an vielen Stellen umwerfend komisch, irgendwie auch sehr anrührend, mitunter geblödelt, aber auch einfach verdammt gut erzählt.

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Jan Faktor:
Trottel

Schon lange wurde ich von einem Autor in seinem Buch nicht mehr mit „Liebe Kinder“ angesprochen, ach, was sage ich, noch nie!, aber ich muss sagen, mir gefällt das. Faktor macht das immer dann, wenn er uns irgendein kleinteiliges DDR-Detail erklären muss, nicht, dass er es immer täte, er hat dazu allzu häufig auch gar keine Lust. „Meine lieben Kinder“, sagt er dann gerne väterlich, und dann erklärt er uns was oder halt auch nicht. Und dabei ist das absolut Merkwürdige und wirklich Bezaubernde an diesem Buch, dass es, mir fällt kein besserer Begriff ein, so jung wirkt. Es ist das Buch eines jungen Mannes, und das ist angesichts seines Jahrgangs (1951) immerhin zum Aufhorchen. Es ist es in der überbordenden Sprache, im Kapriolenschlagen, in der Spielwütigkeit und der Albernheit, in seiner Unbekümmertheit und Gnadenlosigkeit, in seiner Leidenschaft und seiner hinreißenden Komik, der nichts, aber auch gar nichts heilig ist, in seiner Härte. (Vonwegen jung: Zuletzt erging mir das so, als ich das erste Mal Jane Gardam las – was macht die da eigentlich, dachte ich betört, was ist das für ein guter, ungewöhnlicher Sound, ist es, wie sie die Sachen baut, ist es eine leichte Verschiebung, ist es eine Promptheit, die ihr, weiß der Teufel wie, gelingt, oder ganz was anderes? Bei Gardam und Faktor jedenfalls kann man wunderbar erkennen, dass man mit zwanzig durchaus klingen kann wie ein Opa und mit siebzig wie ein Jungspund.)

Wehmut ist ja interessanterweise nicht daran gebunden, dass etwas gut war. Sie kommt, wenn etwas vorbei ist.

Das Buch ist natürlich eine Zumutung, in allem, in den tausenderlei Ab- und Umwegen, die er geht, in der Frechheit und Rüdheit (legendär, wenn er über seine Frau spricht, man ahnt, wie grandios er ihr auf die Nerven gehen muss, und wie wahnsinnig gut er sie daneben aber eben auch unterhält, unterm Strich keine allzu üble Rechnung), in den hunderttausend Fußnoten, in der Schamlosigkeit, in der Verweigerung jeglicher Sentimentalität. Ein Wust an Erinnerungen, an die frühe Kindheit und Jugend in Prag, den späteren Umzug nach Ostberlin, die Dissidenten-Kreise im Prenzlauer Berg, ein Nachdenken über Sprache und über Bücher und über Gewinde aller Art, ein Aufnehmen von aktuellen Fragen (die Genderthematik löst er aggressiv-progressiv, indem er wahllos seine wie auch immer gearteten Anhängsel in der Gegend verteilt, liebe Studentissinnen und Stutentate, Leserandin und Doktorand, Omnibustanten und Barkaspaten, liebe Seegurken und Untergürtelspäher usw.), und wie nebenbei erzählt er viel Zeitgeschichte und spricht von einem Ort und einer Zeit, die es nicht mehr gibt. Und wiewohl er kein bisschen verklärt dabei (er hat bei Gott keinen Grund dazu), versteht man plötzlich die Wehmut, die immer auch mitschwingt. Wehmut ist ja interessanterweise nicht daran gebunden, dass etwas gut war. Sie kommt, wenn etwas vorbei ist. Diesbezüglich gehört Trottel für mich wie auch Seilers Stern 111 zu den Büchern, die uns diese Zeit und diesen Ort erzählen, wie etwas sehr Archaisches und Gewaltiges, das einen für immer prägt – etwas sehr Fremdes auch, sie kommen aus einem sehr fremden Land, das es nicht mehr gibt, und sie berichten uns davon, auch mit Wehmut.

Abgesehen von all dem erzählt Faktor vom Freitod seines Sohnes. Und das tut er ruhig, präzise, klar, ohne Spielerei. Er ist dort plötzlich ein ganz anderer Erzähler, als würde er sich austoben müssen in den allerkomischsten Volten, um diese Ruhe dann auszuhalten, und um das erzählen zu können, was nicht erzählbar ist. Man ist fast verblüfft, wie viel man schlussendlich erfahren hat, wo man überall war, was alles verhandelt wurde, aber alles wie nebenbei; verblüfft auch, wie sich das System dieses Buches erst nach und nach erschließt. Bei all dem Gequatsche hat er einen mächtigen Bogen geschlagen, er trug die lieben Kinder mit leichter Hand durch unwegsames Gelände und setzt sie hernach sanft nieder, deutlich zerzaust und vollkommen durchgenudelt ob des Gebotenen. Ziemlich gut.

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Bernd Stegemann:
Die Moralfalle

Ich hatte ja anfangs das Gefühl, man könne das einfach aussitzen und es würde sich die allgemeine Hysterie schon wieder legen, niemand, dachte ich mir, würde in einer liberalen Gesellschaft wie der unseren leben wollen, in der es immer mehr Verbote und Gebote und Regulierungen gibt, seien sie verbal oder anderweitig. Das war ein Irrtum, mitnichten hat es sich gelegt, es nimmt vielmehr Formen an, die mich wirklich bange machen – und ein Ende