Udo Kier, blutjung und tot mit dem Babyface am Asphalt und halboffenem Mund, die logische Konsequenz von allem.
Alles wird vorsätzlich ins Schlimme gekehrt, damit darauf einen Augenblick lang eine Schönheit liegt (aufprallt), die man nicht haben kann. (Rex Joswig, The Same.) Warum nichts Sinnvolleres? Wahrscheinlich geht es um Flucht – was maufrn für Freiheit hält. Oder ums sehen wie es ist. Allergien kultivieren sich gegen das Richtige, weil es bedeuten würde, zur Ruhe zu kommen: wo doch die Welt so schlimm ist. In diesem Beharren aufs Böse liegt eine obsessive Korrektheit. Wenn Schwulsein sich ins Konstruktive wendet, wenn homosexuelle Paare gleiche Rechte auf das Bauen von Beziehungsmausoleen fordern, dann zuckt mir etwas Verbotenes, Utopisches bitter im Mundwinkel, ich weiß: Nur die Unmöglichkeit bewahrt die Unendlichkeit der Schönheit. Nur bis zum Coming-out ist das alles noch nicht enttäuschend geworden.
Trash ist eine Möglichkeit, fehlende innere Investition in die Institutionen der guten Gesellschaft zu überpinseln – so nachlässig, dass Gleichgesinnte es merken. Das ist vielleicht der intellektuelle Punkt des Filmtitels. Das skandalös Gezeigte – und famoserweise: skandalös gegenüber der Gangsterhaltung ebenso wie gegenüber der bürgerlichen – ist, dass man nur so tut, als würde man verbergen, dass die Liebe zu den Erscheinungsformen der Welt stärker ist als der Wunsch, irgendetwas angeblich Wertvolles zu bewahren. In Bezug auf Frauenleben ist das besonders melancholisch, weil wir nach wie vor angehalten werden, den eigenen Wert durch Skills des Bewahrens nicht zerrinnen zu lassen. Wenn in einer Anfangsszene der Bandenleader Alexander in einem Parfumladen den Inhaber zur Zahlung bewegt, indem er die teuersten Flakons spielend auf den Boden fegt, ist in diesem Bild die ganze Hebelkraft der Verschwendung aufgehoben. Doch ein Mädchen ist kein Gangster: Wohin mit dieser Hebelkraft?
Manchmal stand ich in der Kälte unten und ging noch nicht hinauf, weil ich wusste, dass ich das Schlimmste bin und es auch sein muss. Ich sah in diesem Wissen wie ein bitterer Wind auf die verfrosteten Fenster.
„Ich bin der Geisterfahrer auf der Westautobahn“, begann eine der übelsten Nummern der Band Dental Princes, 2018. Warum die Westautobahn? Vor Purkersdorf wohnte zu Schulzeiten mein erster Freund, ein Feiner, Lieber. Manchmal stand ich in der Kälte unten und ging noch nicht hinauf, weil ich wusste, dass ich das Schlimmste bin und es auch sein muss. Ich sah in diesem Wissen wie ein bitterer Wind auf die verfrosteten Fenster.
Als Mädchen wie als girl size man kämpft man gegen die Verniedlichung der eigenen Drastik. Erotik, als Waffe der Frau angepriesen, will maufrn da eigentlich nicht reinziehen, schließlich ist das das eine Tor, über das liebe Leute einen noch retten könnten. Wenn man die Erotik zur Waffe machte, was hätte man dann noch an süßer Mystik? Annabelle (Marina Paal), die eigentliche Hauptfigur in Schamlos, unterlässt es jedenfalls, die Erotik zu Zwecken zu benutzen, sie zu kontrollieren, nur um die Einkünfte davon den Dienstherren abzuliefern. So provoziert die Kunststudentin mit ihrer anarchischen Neugier und Spielfreude die professionelle Szene ebenso wie die Hochkultur, die Zuhälter und die Klienten. Sie lacht wirklich, wenn sie lacht; tanzt, um zu tanzen, und wenn sie einmal selbst etwas will, stellt sie sich ungeschickt an. Die Frau hat Klasse. Und Alexander Pohlmann (Udo Kier), das Babyface aus der „kleinen, miesen Zirkusfamilie“, hat Mühe, Gleichgültigkeit zu bewahren gegenüber der verwandten Spielerseele.
Im wirklichen Leben muss man im Faden weitermachen, nach dem Happy End wie nach der Tragödie. In einem Film diese Phase zu sehen ist eine Köstlichkeit. Sie verdankt sich dem Umstand, dass hier Leute am Werk sind, die zu klug und komplex sind, um sich besinnungslos der Wichtigkeit einer dämlichen Plotidee hinzugeben. Trotz der hölzernen Dialoge – ja, eben mit ihnen – ist Schamlos unausweichlich subtil. Ab dem Moment, wo Annabelle weg ist, breitet sich eine schreckliche Einsamkeit aus. Auf einmal ist man mit Alexander, den man bis dahin nur von außen sah. Merken tut man das erst beim Verhör, wo man ihn beim Schauen sieht. Der Film selbst bewahrt Distanz – umso radikaler die emotionalen Entladungen über die Ästhetik.
Udo Kier durfte ich vor ein paar Jahren in Kalifornien treffen; der Maquis und ich waren mit den Schalkos unterwegs, die für ihren nächsten Film scouteten, und Udo zeigte ihnen seine Grundstücke als mögliche Drehorte. Einen Tag lang fuhren wir im Mietwagen- Konvoi zwischen Joshua Trees durch die Wüste, standen windverweht herum. Kier sammelt: Grundstücke, Antiquitäten, unrealisierte Liebeshütten und eingefrorene Projekte, die irgendwann … In Udos Augen brannte ein fanatisches Licht. Zugleich eine beknackte Liebe zum Leben und eine Verachtung dafür. Ein Menschentyp, der sich selbst völlig zurücknimmt und dabei tyrannisch wirkt: geboren mit dem Blick auf der Halsschlagader der Welt. Für wen ist dies alles?
Quo vadis, Schamlos? Nach der Orgie von Otto Mühl, in der immer wieder auf drei lachende Eierkopfmumien gegengeschnitten wird, und mitten in der Orgie des Richtens, bei der die Zahl der Verdächtigen mit jedem Neuzugang zum Keller ansteigt, kippt vor dem ratternden, im leeren Kellerraum hallenden Projektor plötzlich die Stimmung. Annabelle filmte ihre Sexarbeit: das Porno-Milieu für die Bildende missbraucht. Und für Psycho- Experimente. In einer Nacht hat Annabelle ihren eigenen Vater bedient. Sie reißt sich die Maske vom Gesicht und fällt lachend in die Kissen zurück, gegenüber dem entsetzten Gesicht des Patriarchen.
Damit ist das Motiv erhellt, und um es klarzustellen, gesteht der Vater den Tochtermord. Plötzlich hauen alle ab. Der Vater findet ein Fluchtauto und fährt in die Projektion einer langen Gasse hinein, die Gangster mit einem Beamer aus dem anderen Auto auf eine Hauswand werfen. Das Auto brennt.
„Toller Einfall mit dem Projektor“, lobt ein Gangster den anderen.
Dass Alexander danach von einer Maschinengewehrsalve zersiebt mit dem Gesicht auf den Boden zu liegen kommt, die Wange eine Koralle von Blutströmen, ist nur noch die Häkeldecke auf der Kredenz.
© Spector Books, Leipzig 2022
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