Wie grässlich das aussieht! Was für eine zerfetzte Landschaft! Überhaupt: Wie kann man so nahe an der Autobahn wohnen, so als Vierkanthof, geht’s nicht ein bisschen weiter weg? Wie kann man sich als bäuerliches Gebäude tagtäglich diesen Firmenschildern aussetzen, die über dem Tal thronen – KIKA – nein, eben nicht schweben, wie der Nebel später suggerieren wird, sondern feststehen, für alle Zeiten fest. Wie kann man als Mensch des Ackers dem Lärm gewachsen sein, nein, stündlich näherwachsen, denn so klingt es ja, als würde dieses Verkehrsrauschen stets näher rücken, durch einen durchrücken, bis man ganz durchdrungen ist. Also, geht’s nicht ein bisserl weiter weg? Ein bisserl mehr da hinten, ein bisserl mehr da drüben, da, wo die Felder in den Wald laufen, denn dorthin lau-fen sie immer gerne, ins richtige Bild, nicht ins falsche, da, wo wir stehen. Sieht ja sonst so nach Rückseite aus, sieht ja sonst so aus, als gäbe es kein richtiges Land mehr, nur noch Durchgangsverkehr, nur noch Gewerbegebiet, nur noch Zerschossenes. Kommt man ja auf Gedanken da. Nein, besser nicht.
Also so nah dran, das muss doch nicht sein, das habe ich jetzt mehrfach gesagt, aber es bewegt sich nichts. Der Hof steht noch immer da. Der Erbhof, den es noch gibt, tatsächlich, der so eifrig nichts mit dem übrigen Bildraum zu tun hat, der sich auch nicht mehr vererbt, weil, das läuft jetzt anders. Richtig, wird gesagt, das ist die Rückseite von Österreich, hier sind wir auf der Seite mit den Webfäden, den Verknüpfungen, der Seite, die keinen Tourismus braucht. Der Gewerbepark, wie er die Täler unseres Alpenlandes überzogen hat, also das uns gehörige, zu uns gehörige, und nicht das andere, das längst geflohen ist. Oder ist es die Rückseite einer Postkarte? Sie wissen schon, die mit den Adresszeilen und den Bildnachweisen, dem sogenannt Kleingedruckten und Kleingedrückten, das irgendwelche Quellenangaben rausspuckt, die keiner hören will, mit Platz für eigene Schreibtätigkeit, ein solider Gruß von lieben Verwandten? Es könnte ja eine Heimatadresse sein, es könnte ja eine Rückkehr in die elterlichen und vor allem großelterlichen Zusammenhänge sein, das bäuerliche Milieu, das schon lange keines mehr ist, es könnte ein Blick auf die Verdingungsmöglichkeiten, die geherrscht haben müssen, das Brot, das verdient werden musste, sein – ein bisschen Besichtigung der Vergangenheit oder etwa nicht?
Ja, oder vielmehr nein. Die Vergangenheit ist nicht zu besichtigen, sie kommt hier nur immer wieder hoch. Aber ein bisserl weiter weg hätte auch er sich schon aufstellen können mit seiner Kamera, weiter weg von der Geschichte, auch mit den Worten, das wäre doch schon gegangen, ein bisserl mehr Verschwommenheit, auch in den Eigentumsverhältnissen, das tät schon gut. Also, ich bin ja nicht von da, aber ich kann’s mir ja ausrechnen, bin ja von ein paar Kilometer weiter weg, aber bei uns ist es ja auch so, dass die Höfe plötzlich neben den Autobahnen stehen und die Betonversiegelung den Rest verschluckt – schließlich, man muss von was leben. Und ein Stück Land sollte einmal einfach ein Stück Land sein, das hat nicht immer seine Geschichte, sondern nur manchmal, wenn man sie brauchen kann, und hier braucht sie keiner mehr, sieht man ja, ist doch alles auf Zukunft gestellt. Geht doch hier alles nach vorne, Mehrwertsteigerung, Umsatzplus, wohin man schaut, Bewegung. Auch wir haben uns wegbewegt, vor allem von dem damals da, als der Gewerbepark hier begann. Autobahnbau. Da kann niemand behaupten, er oder sie wären noch da, auf dieser Stelle. Sind ja alle wie nichts raus aus dem Bild, in dem niemand sich auch heute aufhalten mag, alle fahren immer nur durch, immer weiter durch, niemand bleibt stehen und dreht sich mal zur Kamera um, nicht einmal Anton Bruckner, der mit seiner Sinfonie Nummer 4, Es-Dur, die Romantische, sowieso nicht sitzen bleiben mag in seinem Bein- und Geburts-haus. Das steht ja auch in einem Ort, den es faktisch nicht mehr gibt.
Oft laufen ja Filme auf Bilder zu, hier läuft der Film von diesem Bild weg, nein, er versucht es nicht zu verscheuchen, mehr, es wieder in Kontakt zu bringen mit den anderen Bildern, er versucht die Fassungslosigkeit einer Landschaft in Geschichten zu überführen. Von diesem Anfangsbild kommt er insofern nicht wirklich weg, wie auch, es bleibt immer in der Nähe, es setzt sich fort, pflanzt sich fort, wie man auch sagt, und das schlechte Feld, das der Titel ankündigt, in dem die Fundamente aus Beton immer wieder hochkommen, Fundamente eines Zwangsarbeiterlagers für den Autobahnbau, zeigt sich schon hier im Anschnitt. Ausgerechnet hier, in diesem Restoberösterreich, dem Land mit den Durchgangsstraßen, dem Land mit den Anlagen, wo schon lange aus Hermann-Göring-Werken die Voest geworden ist und die Feldarbeit von einem Maschinenpark unternommen wird und die Autobahn, unter Hitler gestartet, das Offensichtliche ist, spricht dieser Film von fehlendem Abstand. Man hätte die unendlichen Weiten zusammennehmen müssen und sie um dieses Feld, wo dereinst die Zwangsarbeiter wohnten, um diesen Weg, den die KZ-Häftlinge in ihrem Todesmarsch unternahmen, um diese Zustände wie Schutzschilder zu stellen. Der Film von Bernhard Sallmann hat diese Weiten nicht, aber er hat Zeit, Zeit, Erzählungen zu hören, Zeit, etwas wahrzunehmen, die Archive zu konsultieren, Zeit, seine eigene Geschichte zu befragen. Und nicht nur das, Zeit wird als Ressource in diesen Film eingebaut. Nur so gelingt es ihm, das grässliche Bild zu entfalten, bis es seine Unverständlichkeit loswird, die uns peinigt.
© Spector Books, Leipzig 2022
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