Grelles Schwarz

Der Siegertext des FM4-Literaturwettbewerbs „Wortlaut“. Von Vinzenz Dellinger

Online seit: 12.10.2017

Ich wache auf. Die Sonne zeichnet durch die Jalousie ein Streifenmuster an die Wand.

Ich schlage die Decke zurück. Mein linkes Bein fehlt. Ich rufe nach Paul. Er kommt ins Zimmer, in der rechten Hand die Zahnbürste.

– Mein Bein fehlt.

– Dein Bein fehlt nicht. Es ist da, genau neben dem anderen.

Er seufzt und verschwindet wieder im Badezimmer. Es nutzt mir nichts, dass Paul sich einbildet, mein Bein sei noch da. Mühsam setze ich mich auf, drehe mich und strecke mein übergebliebenes Bein aus dem Bett. Ich versuche aufzustehen. Es gelingt, aber ich muss mich an der Wand anlehnen. Auf meinem einen Bein, die Wände als Stützen nützend, kämpfe ich mich bis ins Wohnzimmer. Ich lasse mich aufs Sofa fallen.

Der Deckenventilator schleppt sich langsam im Kreis herum. Ich versuche, ihn dabei zu ertappen, wie er einen rhythmischen Fehler macht. Ich hoffe auf ein Flackern, ein Zucken, als wäre ein stockender Ventilator der Beweis dafür, dass das große Ganze selbst einen Fehler hat, dass die Dinge nicht sein müssen, wie sie sind. Er tut mir den Gefallen nicht.

[…]

Dieser Text ist nur in der Printausgabe 3/2017 verfügbar.

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