Raue Nächte, schöne Krawallschwestern

Wo hört die Freiheit auf, wie fühlt es sich an, zu den „anderen“ zu gehören? Was wäre, wenn Deutschland (wieder) ein zutiefst repressives System wäre, dessen größte Feinde Pluralismus und Diversität sind? Das sind die düsteren Welten, die die bayerische Autorin Laura Lichtblau in ihrem Debütroman Schwarzpulver kreiert. Von Lisa Viktoria Niederberger
Dieser Beitrag entstand im Zusammenhang mit dem Seminar „Literatur- und Kulturkritik schreiben“.

Online seit: 31. Oktober 2022

Beim Faschingsumzug diffamiert die Dorfgemeinschaft kollektiv eine Transsexuelle, auch die Kinder machen mit. Einem Berliner Hiphop Label wird vom Amt für Staatssicherheit nicht nur genau auf die Finger, sondern auch in die Lyrics und Festplatten geschaut und eine Musikerin, die gegen das Establishment rappt, muss eine Maske tragen, um ihre Identität zu schützen. Denn: für alles, was nicht der deutschen Tradition entspricht ist kein Platz in diesem neuen Deutschland. Hier, wo sich alle rechtspopulistischen Parteien zu einer einzigen Regierungspartei zusammengeschlossen und mit der Unterstützung einer bewaffneten Bürgerwehr Berlin zu einem dunklen Ort gemacht haben, dem wesentlichen Schauplatz von Laura Lichtblaus Debütroman Schwarzpulver. Und doch beginnt etwas zu lodern, sprühen einzelne Funken des Mutes, lässt die Autorin ihre drei Held*innen doch so etwas wie Widerstandsgeist und Resilienz entdecken. Unzufrieden sind sie anfangs alle, rastlos, verdammt unsicher. Charlotte, die Scharfschützin und Schwurblerin, die ihre Tage mit Mistelinjektionen in die Bauchdecke beginnt und ihre Sympathien für die Partei erst dann hinterfragt, als sie in der Psychiatrie aufwacht und sich über die auf dem Boden liegenden Unterhosen einer anderen Kranken ärgern muss. Ihr Teenager-Sohn Charlie, der in dieser Welt voller Regeln einfach nur ein bisschen Freiheit, Anerkennung und gute Mucke sucht. Der zwischen all der Hip-Hopper-Coolness, mit der er sich als Familienersatz umgibt, erst einmal lernen muss, wie es ist, wenn man plötzlich weint. Und Burschi, die das Zuhause, das sie sucht, schlussendlich genau bei dem alten Ehepaar findet, dessen Habseligkeiten sie zuvor heimlich an Fremde im Internet verlauft hat. Auch wenn es ungewöhnlich ist für einen Roman, der größtenteils in Berlin spielt, Burschis regelmäßige Verwendungen von Begrifflichkeiten aus dem austro-bayerischen Raum stören nicht, sondern bilden den stilistischen Zuckerguss, in dem Roman in dem sich die drei wechselnden Erzähler*innenperspektiven auch sprachlich sehr stark unterscheiden. Es sind auch die Grantscherbn und das deppat sein Zeugen der subtilen Methoden, die die Autorin benutzt, um zu zeigen: diese „halbdunkle Dystopie“ (Zitat Nora Gomringer, Buchrücken), ist nicht weit entfernt von unserer kulturellen Gegenwart, bzw. von realpolitischen Tatsachen. Es gibt zwar noch keine LGBTIQ freien Zonen wie seit Jahresbeginn in Polen, aber gleichgeschlechtliche Liebe ist auch in Schwarzpulver verboten – Burschi und ihre Bekanntschaft Johanna müssen sich im Hotel als Schwestern ausgeben, um gefahrlos ein Zimmer zu bekommen. Und doch muss die junge lesbische Frau im Laufe der knapp zweihundert Seiten langen Erzählung erst ihr WG-Zimmer wegen ihrer sexuellen Präferenzen räumen und später beim Ministerium für Volksgesundheit vorstellig werden, wo ihr immerhin noch kein Umerziehungslager, aber doch ein Arbeitseinsatz am Brandenburger Apfelquetschfest nahegelegt wird. Gemeinschaft und deutsche Tradition sind wichtig, in Laura Lichtblaus neuem Deutschland. Gendergerechte Sprache ist verpönt, es werden die mittelalterlichen Raunächte zum Jahreswechsel wieder gefeiert und Kindern in den Ferienlagern ihre Grundbedürfnisse gewaltsam abtrainiert, durch eine systemkritische Demonstration knüppelt sich die Bürgerwehr, zertrampelt das „Bayerinnen gegen Frauenfeinde“ Schild. Und doch, viel Lärm um Nichts, wie Böller verpuffen auch schnell die revolutionären Ambitionen der Protagonist*innen. Sie igeln sich ein, gehen ins innere Exil um ihre Wunden, einen Streifschuss zum Beispiel, zu lecken, beugen sich scheinbar dem totalitären Regime. Es wäre dies ein zu frustrierendes, zu resigniertes Ende, wäre da zwischen den Laugenstangerln zu Neujahr und dem Geruch nach Feuerwerk nicht nur Feiertagsfriede, sondern auch Hoffnung und der erneute Wunsch nach Aufruhr in den letzten Sätzen des Romans versteckt.

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