Laura Lichtblaus Romandebüt „Schwarzpulver“ katapultiert uns in ein finsteres Berlin, in dem sich drei Figuren jeweils aus der Ich-Perspektive mit ihrem eigenen Leben auf eine sehr spezielle Art mit Verantwortung und Selbstaufgabe herumzuschlagen haben. Anstelle von Kapitelüberschriften sind es die drei Namen Burschi, Charlotte und Charlie, die die knapp 200 Seiten in Abschnitte unterteilen. Nach dem jeweiligen Namen geht der Fliesstext los, zunächst – einer Unterüberschrift ähnlich – unterstrichen, bis dann nach einem abrupten Zeilenumbruch der Unterstrich wegfällt:
„BURSCHI / Mei, mei, mei, so ein Schmarrn, sage ich, und
der Charlie schaut mich groß an und sagt, Was ist das? – Post vom Amt, sage ich ihm, vom Ministerium für Volksgesundheit. Ja bist du deppert. Die wollen mich beraten, in meiner Libido. (…)“
Burschi heisst eigentlich Elisa, Charlotte nennt ihren Sohn Karl lieber Charlie – wie eine Verniedlichung ihres eigenen Namens. Auch durch den Nachnamen knüpft die Autorin das symbiotische Band der beiden, denn Karls Vater bleibt für ihn ein unbekannter, obwohl dieser in Wien lebt. Venus – so der Nachname von Karl und Charlotte – steht für Beides: sowohl für das mythologische Urbild der Liebe, als auch für destruktive Energien. Es geht um Widersprüchlichkeiten, die rasch aufeinander folgen, oder eben innerhalb eines Namens aufploppen: Charlotte ist in der Namensbedeutung mit Tüchtigkeit und mit Freiheit verbunden. Autoritäres Handeln steht eingeforderter Unterwerfung gegenüber. Alles ist mit Allem verwoben – die gewählte Sprache ist der Spiegel der Gesellschaftsverhältnisse: nur selten wird wirklich gesprochen, wenn, dann wird die Schrift kursiv – in Form von inneren Monologen, denn miteinander Reden gehört nicht zum Konzept des hier skizierten dystopischen Staates. Genau das haben die Protagonisten verinnerlicht, denn es scheint als nicht notwendig erachtet zu werden: „wir verstanden uns in unserer Angst, und das genügte“ – heisst es einmal in einer der Passagen aus Sicht von Charlotte – als sie zu einer Konferenz von ihrem „Arbeitgeber“ nach Wien geschickt wird. Ihre Aufgabe ist es, das Berliner Sicherheitskonzept der Bürgerwehr auch für Österreich anzupreisen.
Alles was passiert ist auf eine Weise bedeutungsschwer, wird aber zugleich in Frage gestellt – nicht nur auf der inhaltlichen Ebene. Laura Lichtblau, die bereits neben einem Kinderbuch Lyrik und kürzere Prosa herausgegeben hat, scheint eine ganz eigene Sprachbilderwelt für diesen Roman kreiert zu haben. Emotionen, die in dem restriktiven Außen nicht existieren dürfen, spiegeln sich wie Pole und Anti-Pole in dem jeweiligen Geflecht von Beziehungen und auch ganz oft in Pflanzen-Metaphern: ein „organischer Widerstandsdünger“ fällt Burschi beispielsweise ins Auge, als sie eine Kassiererin mit Armreifen in den Farben schwarz rot und gelb sieht. Der Begriff der Dystopie ist nicht nur in der Literatur ein altbekannter, sondern auch im Bereich der Medizin geläufig: Organe, die sich nicht an der anatomisch richtigen Position befinden, also eine zunächst unübliche Lage von Geweben oder Organen. „Zunächst“ deshalb, weil es auch sein kann, dass es sich in die korrekte Position noch einfindet, und man den falschen Ort dann als „Zustand der Unreife“ beschreibt. Genau das scheint auch in Laura Lichtblaus Romandebüt die Frage: wann und wodurch sind die Personen so sehr in Entwicklungsschritten stecken geblieben, dass eine Reifung in das Erwachsenenleben nicht vollständig erfolgen konnte.
Zeitlich ist das gesamte Setting in die Wochen um den Jahreswechsel angelegt. Schwarzpulver, ein explosives Gemisch, das über der ganzen Umbruchsphase zu schweben scheint. Früher gab es den Aberglauben, dass dieses spezielle Pulver einem zu Mut verhelfen sollte. Ob genau das hier anklingt, wenn es geruchlich von einer Figur gegen Ende des Buchs, nach Sylvester – ins Neue Jahr weitergetragen wird? Es ist Johanna, die Geliebte von Burschi, die durch ihren Namen an die Symbolfigur des Widerstands erinnern mag.
Diese permanente Spannung zwischen übereifriger Anpassung an das was dem eigenen Selbst so gar nicht zu entsprechen scheint, und der spürbaren Anstrengung derselben Figur, sich innerhalb ihres Rahmens zu behaupten, lässt einen dennoch alles Andere als hoffnungsfroh zurück. Daher der Wunsch, dass der nächste Roman von Laura Lichtblau, mit ihrem wagemutigen Stil und der Kunst Dinge und Personen zusammenzuführen, die einem so völlig fern schienen, einem dann vielleicht in einer phantastisch erschaffenen Utopie begegnet.
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