Dies ist ein Experiment: Die Erzeugung von Literatur wird als regelbasiert aufgefasst, und es werden drei grundlegende Regeln formuliert, die für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur konstitutiv sind.
Regelbasiert bedeutet natürlich nicht, dass alle Autoren denselben Regeln folgen. Dann würden ja alle die gleichen Bücher schreiben. Jeder Autor hat prinzipiell die Auswahl aus einem riesigen Pool von literarischen Verfahrensweisen. Üblicherweise wendet ein Autor nur wenige Verfahrensweisen an, jeweils unter bestimmten, im Lauf der Zeit weitgehend gleichbleibenden Bedingungen. Das heißt aber nichts anderes, als dass er Regeln folgt, die er sich selbst gibt. Diese Regeln machen die Produktionsstrategie des Autors aus. Die angewendeten Verfahrensweisen und die Anwendungsbedingungen können sich im Zeitablauf ändern, der Autor ändert seine Regeln, seine Produktionsstrategie. Der Prozess darf Elemente des Zufalls enthalten, aber er sollte nicht zur Gänze zufällig sein. Die Regeln, die der Autor anwendet, bilden eine Hierarchie. Die grundlegenden Regeln sind sehr allgemein, sie lassen die Freiheitsgrade für die besonderen Regeln, die den Autor unverwechselbar machen.
„Am ruhenden Pflug unterm überweißen Schlehdorn das einfache Mahl in mittäglicher Frühjahrssonne.“ Dieser Satz ist nicht von Handke, sondern von Heidegger.
Ist der Versuch sinnvoll oder zumindest vertretbar, das weite Feld einer Literatur mit der Definition weniger Grundregeln zu erfassen? Das Gegenargument lautet natürlich: Dabei fällt so viel weg. Das stimmt. Aber: Geht mit der Verfahrensweise der klassischen Literaturgeschichte entlang den Lebensläufen von Schriftstellern und Büchern oder bei der Erstellung einer Typologie nach Inhalten oder Formen nicht ebenfalls viel verloren? Egal, wie man sich der Literatur nähert: Man kann Literatur niemals zusammenfassen oder auf etwas anderes reduzieren.
Die deutschsprachige erzählende Literatur der Gegenwart folgt drei Grundregeln:
1. Die Erzähler und beziehungsweise oder die Figuren agieren mit einem hohen Maß von Bewusstheit in Bezug auf ihre jeweilige Erzählungs- beziehungsweise Handlungssituation. In überspitzter Formulierung soll deshalb vom Prinzip des Bewusstheitserlebnisses gesprochen werden.
Sowohl auf der Ebene der Handlung wie auf der Ebene der Schilderung der Handlung bedeutet Literatur immer Erlebnis. In der deutschsprachigen Literatur gibt es nur selten ein Erlebnis ohne ein gleichzeitiges oder nachgeschobenes Bewusstheitserlebnis: Jedes Fühlen ist auch ein Fühlen des Fühlens, jedes Denken ist auch ein Denken des Denkens. Dieses Bewusstsein hat natürlich viel mit der direkten Beobachterposition zu tun, die Figuren und die Erzähler beobachten sich gern und ausführlich unmittelbar selbst. Aber darin erschöpft sich Bewusstsein nicht. Bewusstsein entsteht nicht nur durch direkte, sondern auch durch indirekte Selbstbezüge, über inhaltliche und formale Produktionsumwege.
2. Der Schwerpunkt der Figurenschilderung oder Betrachtung liegt dezidiert nicht auf dem Psychischen. Es sei deshalb die Rede vom Externalitätsprinzip.
Das Externalitätsprinzip ist radikal: Emotionale Stimmungen und kognitive Gestimmtheiten haben ihren Ursprung nicht in den Erzählern und in den Figuren. Vielmehr sind die Figuren und die Erzähler in die entsprechenden Stimmungen versetzt. Das Wort „versetzt“ ist hier nicht im übertragenen, sondern im buchstäblichen Sinn aufzufassen: Dinge und Ideen bilden meist eine statische Struktur, eine Bühne, manchmal auch eine dynamische Abfolge von Geschehnissen, welche die entsprechende Stimmung nicht nur darstellt, sondern tatsächlich ist. Die Erzähler und ihre Figuren finden Sinngebungsmuster nicht in sich, sondern nur außerhalb ihrer selbst. Entweder gibt es überhaupt kein Innen der Figuren oder der Erzähler, oder das Innen der Erzähler und der Figuren ist deren Außen.
Zur Bewusstheit gehört, dass man sich des Externalitätsprinzips bewusst ist. Die Protagonisten wissen: Was sie ausmacht, ist nicht innen in ihnen aufgestiegen. Wenn die Protagonisten etwas über sich selbst erfahren wollen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich in möglichst allem, was außen ist, zu fühlen.
Wer oder was versetzt Erzähler und Figuren in entsprechende Stimmungen? Die Seele entsteht nicht im Menschen. Aber es verhält sich auch nicht so, dass das Außen des Menschen beseelt wäre und auf den Menschen übergreifen würde. Was üblicherweise als Seele bezeichnet wird, ist in den deutschsprachigen Romanen und Erzählungen eine bestimmte Position des Menschen. Die Romane und Erzählungen beschreiben und umschreiben diese Position. Zugleich weigern sie sich konsequent, zu beschreiben, wie diese Position jeweils zustande kommt. Die deutschsprachige Literatur der Gegenwart, das ist ganz wesentlich: keine zwingende innere Geschichte, aber auch keine wie immer geartete systematische Einwirkung äußerer, etwa gesellschaftsbedingter Faktoren.
3. Erzähler und Figuren nehmen eine durchgehend gesellschaftsferne Haltung ein. Das ist das Prinzip der Gesellschaftsferne.
Damit ist nicht
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