Sie fürchtet sich nicht. Alles, was sie anfaßt, hat Schwung und Schmiß. Es hat auch eine Nachtseite, an der die D-Züge vorbeirasen. Nur nicht stehenbleiben und sich in all die mögliche Unbill versenken! Die Theater haben staubige Hinterbühnen, das Warenhaus hat einen schäbigen Personaleingang, das Grandhotel einen verschlossenen Weinkeller und eine dumpf riechende Wäscherei, das weiß sie doch. Man darf nicht im „Dunkel des Unbrauchbaren“ schmollen, wie sie es nennt. Nur sich selbst nicht so wichtig nehmen und auch nicht „die Dinger“, „das Zeugs“, das sie nach eigenem Bekunden schreibt. Sie ist die preußischste Wienerin, und sie ist die amerikanischste Emigrantin aus Hitler-Deutschland: Vicki Baum. Ihr Stoff liegt überall auf der Welt. Pfeilschnell spießt sie ihn auf, immer weiß sie auf verblüffende Weise Bescheid, auch wenn sie es einmal nicht tut, ist sie der festen Überzeugung, Bescheid zu wissen. Immer kommt der nächste Roman. Manchmal hätte sie besser geschwiegen. Sie hat knapp 40 Bücher geschrieben. Mit der ihr eigenen Selbstironie bezeichnete sie sich selbst als „eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte“. Als eine Hollywood-Journalistin ihr 1948 gestand, sie habe sie für viel blonder und älter gehalten, antwortete sie: „Aber meine Liebe, wenn Sie genau hinsehen, müßten Sie es doch merken: Ich bin ja viel blonder und älter.“
Damit die Mutter schneller gesund wird, muß das Kind vernünftig und brav sein. Baum ist zeitlebens vernünftig geblieben, aber die Mutter wird nicht gesund. Immer wieder versucht sie, aus dem Fenster zu springen.
Tyrannei und Hysterie
1888 wird sie in Wien geboren, ihre Kindheit erscheint ihr als eine explosive Mischung aus Tyrannei und Hysterie. Ihr Judentum spielt für sie kaum eine Rolle. Ihr selbstherrlicher
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