… wenn ich vor meine Studierenden trete, bin ich die Schriftstellerin Ulrike Draesner, die als Professorin Draesner erscheint. Ich bin die Schriftstellerin und die Professorin Draesner, aber nicht zu gleichen Teilen. Ich bin die Professorin UD, die eine Schriftstellerin in sich herumträgt und sie verkörpert. Nein, die diese Schriftstellerin ist, als Professorin, und auch als ob. Als diese „Als-ob-Schriftstellerin“ stehe ich, eine Professorin verkörpernd, vor meinen Studierenden.
Während man als Schriftstellerin auftritt, ist man nicht Schriftstellerin, sondern stellt diese dar. Thomas Mann schlug die weißen Leinenhosenbeine übereinander, sodass der Fotograf die weißen Leinenschuhe besser sah, und stellte einen Schriftsteller dar, der als Thomas Mann in einem Sessel in Santa Monica saß und nachdachte. In der Spaltung steckte ein Schmerz. Er war nicht der Schriftsteller, der er gewesen war. Dennoch saß Mann nicht nur als Bild und Schriftstellerdarsteller da, sondern war auch dieser Schriftsteller, denn etwas Besseres als die Darstellung (das Bild) eines Schriftstellers ist, will man einen Schriftsteller sehen, nicht zu sehen – nicht einmal, wenn man als Schriftsteller in den Spiegel blickt.
Während man als Schriftstellerin auftritt, ist man nicht Schriftstellerin, sondern stellt diese dar.
Als wer spreche ich die Studierenden an? Wie wird das Lehren mein Schreiben verändern? Wie viele Anteile meines Schreib-Ichs, und welche, lasse ich im Seminarraum erscheinen? Wie schütze ich mich? Wie schütze ich meine Studierenden? Wie bringen wir uns zusammen?
Das entscheide ich nicht allein. Im Folgenden versuche ich, (mir) offenzulegen, was davon auf meine Seite fällt. Ich bin nicht nur mein Schreib-Ich und mein Professorinnen-Ich (und davon jeweils mehrere). Ich bin auch die Figur, die beider getrennte Einheit behauptet, sie miteinander vergleicht, ihre Simultaneität erlebt. So kam es zu diesem Selbstinterview. UD stellt die Fragen. Es antworten die Professorin (Dr. Draesner = Drdr) und die Schriftstellerin # (ein Gatter statt eines Namens; eine Grenze).
UD Sie haben viel gearbeitet in Ihrem Leben. Würden Sie es im nächsten Leben etwas ruhiger angehen lassen?
Drdr Ich glaube, das entzieht sich meinem Zugriff. Ich war und bin zu neugierig auf die Welt. Zwischen 20 und 30 habe ich eine Nacht pro Woche ausgelassen und gelesen oder Seminararbeiten geschrieben statt zu schlafen.
UD Würden Sie noch einmal Schriftstellerin werden oder vielleicht in anderen Kunstgattungen arbeiten? Spielt diese Frage überhaupt eine Rolle?
Drdr Alles wies auf die Malerei. Sie war das mir in der Familie zugestandene Talent. Mein Vater zeichnet gern. Es gab kaum Bücher in meinem Elternhaus, aber altes Papier und Stifte. Ich habe ein absolutes Auge. Ich kann Dinge im Raum in bestimmten Maßverhältnissen positionieren, frei aus der Hand. Auch beim Fotografieren merkt man es. Ich blicke auf etwas und sehe das Bild, das ist wie ein Rucken im Auge, etwas springt.
Wer es nicht getan hat, macht sich falsche Vorstellungen davon, welche Arbeit es ist, einen Roman zu schreiben.
UD Virginia Woolf schreibt die Biografien ihrer Figuren in ihrem Roman Die Wellen in schlaglichtartigen Momenten oder Tagen aus ihrem Leben. Wie sehen Sie Ihr eigenes Leben im Rückblick? Welche Momente und Umstände waren
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