VOLLTEXT Im Rahmen Ihres Forschungsprojektes „GlobalBernhard“ porträtieren Sie mehr als 150 internationale Autoren und Autorinnen, die sich literarisch mit Thomas Bernhard auseinandergesetzt haben. Wie kam es zu dieser erstaunlichen Wirkung seines Werkes?
Juliane Werner Wenn man sich mit Thomas Bernhard beschäftigt, stößt man recht bald auf diesen Nachhall im Werk anderer Autoren und Autorinnen. Die Art der kreativen Auseinandersetzung variiert dabei ebenso deutlich wie die Gründe dafür. Dass Bernhard zu einem solchen writer’s writer geworden ist, liegt sowohl an der großen Suggestivkraft seiner Sprache, die innovativ und nachahmbar zugleich ist, als auch am effektvollen Brechen mit literarischen und außerliterarischen Konventionen. In der deutschsprachigen Literatur setzt die produktive Rezeption von Bernhards Werk früh ein, meist in Form von Parodien oder Hommagen, etwas später auch international, in ganz unterschiedlichen Gestalten: neben Bernhard-Zitaten und -Verweisen, wie dem „Bernhard-Buch im Buch“, stehen vor allem formale, thematische und stilistische Übernahmen, etwa die Wiederholungs- und Übertreibungskunst, der absatzlose monologische Erzählstrom oder der Einsatz von Reizwörtern wie das berühmte „sogenannt“. Der Autor selbst lebt ebenfalls als literarische Figur fort, sei es als Gespenst in Cyril Huots Le spectre de Thomas Bernhard, als geschiedener Familienvater in Alexander Schimmelbuschs Die Murau Identität oder als Fastfood-Restaurant-Besucher in Thomas Melles Die Welt im Rücken.
Bernhard-Anverwandlungen funktionieren auch in Romanen aus Sri Lanka und Ägypten wunderbar.
VOLLTEXT Wie entdeckt man Bernhards Einfluss im Werk von so vielen unterschiedlichen Autoren aus zum Teil entlegenen Sprachräumen, deren Werk meist gar nicht auf Deutsch vorliegt?
Werner Es ist viel Recherche, die meist mit einem „Bernhard-Verdacht“ beginnt, der sich dann je nach Fall mithilfe von Übersetzungen, stilometrischer Analyse und Überprüfung intertextueller Verweise zunehmend erhärten oder entkräften lässt. Die Spurensuche wird dadurch erleichtert, dass Autoren und Autorinnen oft aufeinander verweisen. Es gibt regelrechte Bernhard-Cluster. Nur ein Beispiel: Die Amerikanerin Kate Zambreno beschreibt in ihrer Prosa To Write As If Already Dead eine scheiternde Studie über den „Bernhard-Roman“ À l’ami qui ne m’a pas sauvé la vie des französischen Schriftstellers Hervé Guibert. In ihrem Erzählband Screen Tests hat sie zuvor schon Bernhards Kurzprosastil mit dem der amerikanischen Autorin Lydia Davis amalgamiert, die ihrerseits mit ihrem Ex-Mann Paul Auster und dessen zweiter Frau Siri Hustvedt einen deklariert ausgeprägten Hang zu Bernhard teilt. Das erklärt Zambreno in einem Interview der Autorin Stephanie La Cava, die sich ebenfalls in der Bernhard-Nachfolge verortet. So kommt man vom einen zum anderen. Gelegentlich haben wir es schon mit Übernahmen aus zweiter Hand beziehungsweise Anverwandlungen zweiter Stufe zu tun. Der Bernhard’sche Bausatz wird dabei immer weiter variiert.
VOLLTEXT Ist es nicht verblüffend, dass ausgerechnet ein Autor, dessen Stil so stark von den Eigenheiten der deutschen Sprache geprägt ist und der zudem mit so vielen provinziell-österreichischen Versatzstücken spielt – nehmen wir die berüchtigten Brandteigkrapfen oder Ortsnamen wie Gaspoltshofen – in anderen Sprachen und Kulturen funktioniert? Wie erklärt sich das?
Werner Ja, das ist faszinierend. Wir sehen
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