Spielen und Erfinden, ein Schattenbild
Betreten wir einen zugigen, einsamen Ort. Ein Torffeuer blakt, Hunde bellen, aus der Küche dröhnt Klappern und Scheppern, eine Kirchenglocke läutet zu Mittag und am Abend. Schließlich zieht Nebel auf und verhüllt den ganzen Ort. Betreten wir das altmodische Pfarrhaus von Haworth. Nein, Kinderlachen, wie man es in einem großen Pfarrhaus vermutet, schallt uns nicht entgegen. Die Kinder im Pfarrhaus Haworth in Yorkshire sind still. Sie sind zu viert, Charlotte, Branwell, Emily und Anne Brontë bilden eine eigentümliche Substruktur der auf verschiedene Weise literarisch Hochbegabten – unter Ausschluss der Erwachsenen. Zwei Schwestern sind im Schulmädchenalter gestorben. Sie hatten eine Schule für die Töchter der Geistlichkeit besucht, mit erbarmungswürdigen Erziehungszielen, die junge Mädchen nur deprimieren konnten. Hier sollten sie auf eine Existenz als Pfarrersfrau vorbereitet werden oder auf ein Leben, in dem sie sich allein als Pflegerin, bestenfalls als Lehrerin durchschlagen mussten. Die Ehe ist eine unfrohe Aussicht, die Tuberkulose ein Menetekel an der Wand, während sie in regennassen Kleidern zum Lobe Gottes in der kalten Kirche singen. Ihre Mutter, die in sieben Jahren sechs Kinder geboren hat, ist einem Krebsleiden erlegen. Die kühle Tante kommt ins Haus, sorgt für das Nötigste, zieht sich aber zu Anfällen von Migräne und bei Depressionen abends frühzeitig in ihr Zimmer zurück. Dann beginnt das kindliche Spiel, ein Rollenspiel, ein phantastisches Regieren über Ort und Zeit und Situationen.
Im Übrigen haben die vier Pfarrerskinder einen höchst liberalen Vater, der ihnen in seiner Bibliothek keine Beschränkungen oder Verbote auferlegt; sie lesen Zeitungen und Zeitschriften, Shakespeare und Chateaubriand, Reiseberichte aus fernen Ländern und die Bibel. Und sie ahmen auf die ihnen gemäße Weise nach, was der Vater tut. Sie reagieren auf seine offene Haltung zur Welt, die er sich als ein armer irischer Stipendiat in Cambridge mühsam hat erarbeiten müssen, und gleichzeitig saugen sie die Konzentration auf, die er für sein Amt und daneben für seine schriftstellerische Arbeit aufbringt. Doch sie erleben durch ihn auch starke Bedrückungen. Der jähzornige Vater regiert autokratisch. Er besitzt eine Pistole und schießt, wenn er verärgert ist, durch die offene Tür ins Freie, verstört die beruhigte Ländlichkeit, in der seine Pfarrkinder und ihre Tiere leben, eine ungewöhnliche Regung für einen Landpfarrer. Außerdem hat er eine merkwürdige Schrulle: Er isst und trinkt allein, ohne die Kinderschar, die umso mehr sich selbst überlassen bleibt. Arno Schmidt vermutet, der Pfarrer habe mit diesem Trick die Kinder von der Beobachtung ferngehalten, welche gewaltigen Mengen an Alkohol er brauche, um sein Leben einigermaßen erträglich zu finden. Der Vater streitet nicht ab, exzentrisch zu sein. „Aber unterschiebt mir nicht, dass ich in meinem Zorn Teppiche verbrenne, Stühlen den Rücken absäge oder die Seidengewänder meiner Frau zerreiße.“ Eine janusköpfige Gestalt: Sonntags steht er auf der Kanzel und donnert auf die Gemeinde herab, und andererseits schreibt er Gedichte, die in der ländlichen Befangenheit angesiedelt sind, Cottage Poems und The Rural Minstrel, veröffentlicht Predigten. Warum sollen seine begabten Töchter und sein Sohn, animiert und stimuliert in der stumpfen Isolation, mit jedwedem Zugriff auf intellektuelles Material, nicht das Gleiche tun? Ja, warum nicht?
Charlotte konnte sich als Vierzehnjährige mit Fug und Recht als Verfasserin von 22 Werken bezeichnen.
Die Kinder haben nur sich selbst und die Bücher. Sie geben sich gegenseitig die Wärme, die
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