„Ich bin der Saboteur meiner Depressionen“
HANS MAGNUS ENZENSBERGER Die Idee der Originalität ist relativ, ich schreibe weiter, fange nicht von vorne an. Man hat ein Kollektiv im Rücken, sogar neben sich. Ein Autor ist wie ein Radio-Kopf, in dem alle möglichen Stimmen aufgefangen werden, die Stimmen der anderen. Die Sprache ist nicht mein Privateigentum. Ich habe eine wunderbare Zeitungsfrau, der ich morgens, wenn ich die Zeitung hole, gern zuhöre. Vielleicht hat die einen Satz, den ich stehlen kann.
ALEXANDER KLUGE Insofern ist man ein Transmitter, ein Verstärker.
ENZENSBERGER Natürlich gehört auch eine Ökonomie dazu, die der Alltag nicht hat. Der Alltag ist unökonomisch, ein Verschwender. Die poetische Arbeit ist ökonomisch. Was heißt Poesie? Ein Vorzug dieser Form ist, auf einer halben Seite viel sagen zu können. Das ist ökonomisch, das gefällt mir.
KLUGE Sie haben 1960 das Museum der modernen Poesie veröffentlicht.
ENZENSBERGER Das war mein Weltempfänger. Wir hatten durch den Faschismus ungefähr 15 Jahre einen Blackout und wussten nicht, was in der Außenwelt passiert. Es gab auch für mich eine Mauer, denn diese Nazisache war unangenehm, weil man nicht raus konnte. Man war eingemauert von diesem Zeug. Die einzige Möglichkeit rauszukommen war, in die russischen Steppen zu marschieren. Das war ein Antrieb der Soldaten: Sie kamen nach Paris, sie kamen endlich aus diesem Ding heraus. Das ist ein Teil der Energie dieses Kriegs. Als es möglich wurde, war es wichtig, die Wiedergewinnung von Welt auch
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