Lieber Paul Nizon,
wir haben einmal eine Freundschaft gehabt, und irgendwann haben wir sie nicht mehr gehabt, und jetzt lese ich in Ihrem Journal*, auf mich bezogen, das Wort „Vatermord“ und lese das Wort „Verehrungsergebenheit“. Es sind beides keine schönen Worte, das eine wegen seiner Brutalität und seines allzu großen Gewichtes nicht, das andere, das allerdings viel über Sie und Ihr Wunschdenken verrät, wegen seiner Klebrigkeit. Dazu kommt noch das Wort „Verrat“, das Sie mir anhängen, und weil Sie das öffentlich machen, werden Sie verstehen, dass ich es nicht unwidersprochen hinnehmen kann. Zwar schiele ich nicht in ähnlich panischer Weise auf die Nachwelt, wie Sie es tun, und schon gar nicht beabsichtige ich in Ihrer Art, vor deren Toren Aufstellung zu nehmen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu wiederholen, wie verkannt ich sei, und mich mit meiner empfundenen Zukurzgekommenheit so lange aufzudrängen, bis man mich vielleicht doch durchschlüpfen lässt, weil keiner mehr das Jammern ertragen kann, aber für die paar Leute, die es hören wollen, liegt mir an einer Richtigstellung.
Wir können gern von „verehren“ sprechen, doch dann ist das richtige Wort nicht „Verehrungsergebenheit“, sondern „permanente Verehrungserwartung“, vielleicht sogar „Verehrungsnötigung“, „Verehrungszwang“, und unsere Geschichte ist auch eine Geschichte darüber, dass ich mich dem mehr und mehr zu entziehen versucht habe. Sie können sich nur schwer eine Freundschaft um ihrer selbst willen vorstellen, es geht Ihnen immer auch um Instrumentalisierung, um Nützlichkeit und Nutzbarmachung noch im Kleinsten zu Ihrer ewigen Eigenvergrößerung, und es hat mich einige Anstrengung gekostet, mich von Ihnen nicht zu einem dieser Parisfahrer, Apologeten und Handlanger Ihrer Selbstverklärung machen zu lassen, denen Sie seit Jahrzehnten Ihre Geschichten buchstäblich in die Feder oder vielmehr in die Tastatur diktiert haben und nach wie vor diktieren, das immer gleiche Sumpern über das Ihnen angeblich widerfahrene Unrecht, zuwenig wahrgenommen worden zu sein. Ich habe mir diese Geschichten angehört, am Anfang mit offenen Ohren, aber ich habe sie hundertmal von Ihnen zu hören bekommen, und beim hundertsten Mal ist keine Geschichte mehr eine gute Geschichte. Zu einer richtig schlechten Geschichte wird sie spätestens dann, wenn sie mit der ständigen und immer drängenderen Erwartung an einen verbunden ist, dass man hinausgehe in die Welt und sie wie ein Jünger oder wie ein Sektenmitglied ganz und gar unkritisch wiederhole und verbreite.
Vielleicht sind Sie verkannt, lieber Paul Nizon, vielleicht oder, wie ich glaube, eher aber auch nicht. Auf jeden Fall haben Sie es mit Ihrer vermeintlichen Verkanntheit und dem unaufhörlichen Verweisen darauf weiter gebracht als andere, die wirklich verkannt sind, und es ist Ihnen gelungen, immer neue Ministranten zu rekrutieren, die Ihren Sermon nachgebetet haben, „der wichtigste deutschsprachige Autor in Paris, der zu Hause unterschätzt wird“ und den ganzen anderen Holunder, das ganze andere Blabla, das kaum mehr jemand ernsthaft überprüft hat. Für eine Ihrer letzten Rekrutierungen haben Sie mich noch gefragt, wie ich den Kandidaten einschätzte, ob ich glaubte, er sei einer solchen Rekrutierung überhaupt würdig. Dabei hätten Sie natürlich jeden genommen mit der, wie Sie so schön, nein, sehr unschön sagen, notwendigen „Verehrungsergebenheit“, und ich hoffe, Sie hören wenigstens in der Wiederholung, wie abstoßend das Wort in Ihrer Verwendung ist und welches vorgestrige Zeugs man im Kopf haben muss, um in diesen Kategorien zu denken, irgendwo zwischen Stefan George und dem Kaiser von China.
Dazu hat sich jetzt auch noch einer eingestellt, der den lange schon in einer Ihrer Selbstverwechslungen herumspukenden
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