FOAM

Von Anna Maria Stadler.
„Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“ – Teil V

Online seit: 19. März 2021
Anna Maria Stadler © Lukas Gwechenberger
Anna Maria Stadler. Foto: Lukas Gwechenberger

Sie braucht nicht viel, aber manchmal hat sie gerne etwas. Manchmal macht es ihr Spaß, Dinge online zu bestellen. Dann freut sie sich, wenn das Paket kommt und sie der Bote schon kennt, wenn sie den Karton aufreißen kann, um das neue Ding zu begutachten, und dann eine Weile eine Freude daran zu haben, ein, zwei Tage zu genießen, etwas Neues in ihren Besitz gebracht zu haben. Die Dinge nutzen sich schnell ab, weshalb es immer neue braucht. Von den foams verspricht sie sich viel. Diese schimmern verheißungsvoll und sind unnahbar, ihnen liegt ein Reiz zugrunde, der sie schnell begehrt gemacht hat, in ihnen wabert ein Geheimnis, diese wird man gerne und lange anschauen, der foam verspricht gerade aufgrund seiner fragilen Beschaffenheit Faszination für die Dauer seines Bestehens, das – wenn man den Berichten glauben möchte – bei vielen sehr flüchtig ausfällt.
Die foams sind unvermittelt aufgetaucht und sobald sie da waren, sobald der ästhetische und reduzierte Onlineshop eingerichtet war und die ersten Bilder ihrer Stücke teilten und im Bekanntenkreis vereinzelt Objekte auftauchten, gekauft von jenen, die meist ein verlässliches Gespür haben, da wusste sie, sie will einen haben, und die Vorfreude darauf, den leichten Schaum in ihrer Wohnung auf einem gut platzierten Sockel zu haben, hat sie mehrere Tage sickern lassen.

Die Entscheidung fällt ihr nicht leicht. Während sie jetzt durch den Shop scrollt, wartet sie darauf, dass sich etwas einstellt, ein besonderes Interesse für eines der Stücke deutlich wird, klickt sich durch verschiedene Ansichten eines eleganten foam (soap) und liest die Beschreibung zum foam (sugar), der als etwas stabiler beschrieben wird, doch auch für diesen gelte Nicht berühren! Mehrmals wird auf der Seite betont, dass für zerfallene foams keine Garantie übernommen wird und man sich bewusst sein müsse, dass eine Berührung ausreicht, um die wabernden Gebilde zum Einsturz zu bringen, jedenfalls, dieser ist ihr zu dunkel und der weiße foam (soap) sieht zu künstlich aus und würde sich mit ihrer reduzierten Wohnzimmereinrichtung schlagen, entscheidet sie. Es kommt also nur der beige foam (sea) infrage und sie klickt diesen in den Warenkorb.

Dann läutet sie Jonas aus der Nachbarwohnung, und wie sie erwartet hat, teilt er ihre Freude und will ihr beim Vermessen möglicher Plätze helfen. Sie brauchen viel Raum, um zu wirken, sagt er und es ist ihm wichtig, dass sie die Präsenz nicht unterschätzt, die so ein foam habe. Da kannst du keine Pflanze danebenstellen, und sie erwidert, dass sie von Pflanzen ohnehin nicht viel halte. Jonas empfiehlt Sockel oder Beistelltische, die man auf der Seite dazu bestellen kann, die optisch gut zu den Objekten passen, da sie sehr zurückgenommen seien.
Also sehen sie gemeinsam die Präsentationsmöglichkeiten durch und da fällt ihr ein, sie hat in der Ordination des Hausarztes letzte Woche einen foam in einem Plexiglaskasten im Wartezimmer gesehen und als sie Jonas davon erzählt, wird er ungehalten und sagt, wie richtig es sei, dass solche Vorrichtungen auf der Originalseite gar nicht zu finden seien, und wie lächerlich diese seien, und dass ein Freund von ihm auch     , und man dann gleich gar nicht     . Diese Stücke funktionieren nur dadurch, dass sie potentiell sehr leicht zerstörbar sind, meint Jonas und schaut etwas betroffen aus, als er hinzufügt, dass er seinen ersten eine halbe Stunde nach dem Auspacken ruiniert habe, indem er sich zu nahe darüber gelehnt und ausgeatmet habe. Das macht sie nun doch unsicher und sie überlegt, den billigeren zu nehmen, immerhin hat sie oft Freunde und manchmal auch die Kinder der Schwester da. Zudem spielt sie mit dem Gedanken, sich einen Hund zu kaufen, wobei ein Hund und ein foam in ihrer Vorstellung nur schwer vereinbar sind und einen Hund kann sie auch in Zukunft noch haben, ein Hund wird ihr besonders später Freude machen, aber der Moment für den foam ist jetzt, wer weiß, ob sich in einigen Jahren noch jemand dafür interessieren wird. Obwohl sie einen Bericht gelesen hat, dass es manche gibt, die die Überreste der zusammengesackten und zerfallenen Schaumobjekte aufbehalten, bis diese eintrocknen oder zerbröseln. Die Vorstellung trockener Fragmente auf einem minimalistischen Sockel bedrückt sie und sie nimmt sich vor, den foam, sobald er zusammensackt, und sie will sich keine Illusionen, dass es passieren wird, wegzuwerfen. Doch den Fehler dem Stück zu nahe zu kommen, wird sie nicht begehen.

Sie ist noch im Halbschlaf und öffnet die Türe ohne Brille, setzt eine schiefe Unterschrift auf das Gerät, das ihr entgegengestreckt wird, erwartet Bücher und denkt gar nicht daran, dass es was anderes sein könnte, als sie den Karton unachtsam an den Seiten aufreißt und das Seidenpapier, in das der foam eingeschlagen ist, wegzieht.
In ihrer Vorstellung müsste der foam von einem speziellen Lieferservice in eigens dafür ausgerichteten, gut gepolsterten Boxen kommen, und nicht einfach so, in einem Karton, wie jeder andere Gegenstand. Im Nachhinein kommt es ihr absurd vor, wie unachtsam der Paketmann und sie in der Übergabe vorgegangen sind, wie er es ihr entgegengestreckt und sie einfach danach gegriffen hat, aber andererseits, er konnte es nicht wissen und sie nicht ahnen, und jetzt gilt nur zu sehen, ob bereits Schaden entstanden ist und sie sieht sich schon das Reklamationsformular ausfüllen.
Als sie nun vorsichtig das Papier wegzieht, stoßen ihre Finger auf Plastik und sie sieht, dass der foam in einer prall aufgeblasenen Schicht eingeschweißt ist, die jede Bewegung federt. Sie befolgt die beiliegende Beschreibung präzise, indem sie das Objekt in seiner Blase, dessen Gewicht sie kaum spürt, anhebt und es auf den vorgesehenen Platz stellt, dann mit der Nadel die Folie wie beschrieben behutsam aufsticht, die sofort zerblättert und sich innerhalb weniger Sekunden auflöst, sodass jetzt nichts mehr zwischen ihr und dem hellen Schaum liegt, sie ihn fast mit ihrem Gesicht berührt, als sie seine fragile Wolkenkonstruktion und die komplexen Lichtbrechungen in seiner bewegten Oberflächenstruktur beobachtet. Schnell entfernt sie sich und nimmt sich vor, nie mehr so nahe zu gehen, ihn von nun an nur vom Sofa oder Fenster aus anzusehen, wenn ihr danach ist, und den ganzen Tag über macht es sie zufrieden, zu wissen, dass dort drüben, in ihrer Wohnung, sich nun ihr eigener foam (sea) befindet.

Am nächsten Tag taucht auch in ihrem Hof ein foam auf, ob er von der Hausverwaltung, oder ob ihn einer der Mieter     , weiß sie nicht. Zuerst hat sie ihn gar nicht bemerkt, bloß den Schatten auf den Fliesen gesehen, als hätte sie eine Schlange im Rücken, und als sie sich umwendet, sieht der foam (sugar), wie für diese Ausgaben nicht ungewöhnlich, tatsächlich wie eine aufgerichtete Schlange aus. Sie geht vorsichtig ein kleines Stück näher und begutachtet den hohen Sockel mit der Keramikschale, aus deren sandigem Grund der foam wächst und als sie noch etwas näher geht, vibriert das schlanke Gebilde, das ganz anders aussieht als ihr foam (sea), der eine wolkenartige geschlossene Struktur hat, während dieser hier, elegant und hochaufgerichtet, in seiner kohleartigen Beschaffenheit einen langen Schatten über den Hof wirft.

Von wem der große foam (sugar) im Hof ist, fragt sie Jonas und er geht gleich, um ihn sich anzusehen, meint dann, dass das ein Sammlerstück und eigentlich ungewöhnlich     , für einen privaten Hof, dazu ohne Sicherung oder Absperrung, es müsse sich um einen Liebhaber handeln, ihm würde dazu nur der Friedrich aus dem 4. Stock einfallen, und sie nickt, obwohl sie kein Bild zu einem Friedrich hat.

Jonas sagt, er habe einen Text über seinen foam (soap) verfasst und ob sie ihn Korrektur lesen könne, bevor er ihn ans Magazin sende. Es gehe darin vor allem um das Begehren. Der Text, der sich mit chemischen Entstehungsprozessen insbesondere des foam (sea) beschäftigt, spannt den Bogen von dem Absterben der Meeresalgen, aus denen sich die natürlichen, faulig-schwefelig riechenden Schaumlandschaften entwickeln, bis hin zu dem Wunsch nach Berührung, den dieses Objekt bei den Betrachtenden auslöse, dem Begehren, das Objekt in seiner feinen Struktur zu erfassen, sich immer weiter anzunähern und durch direkten Kontakt die Materialität zu erfahren. Als er schreibt, dass die meisten foams schon innerhalb der ersten Woche zerfallen würden und in mehr als 80 % der Fälle, die Eigentümer*innen durch Berührungen selbst dafür verantwortlich seien, wird sie nervös und erkennt sich in der nachsichtigen Denkweise wieder, eine leichte Berührung würde er schon aushalten.

Als sie am nächsten Tag nach Hause kommt, sieht sie einen Mann im Regenmantel im Hof, wie er sich vor der Schlange verbeugt und sie denkt, es muss der Friedrich sein, der sich wie vor der Schlange des Pharaos verneigt, um alles Unglück abzuwenden und alle Übel des Tages abzuwerfen.
Auch sie tut es ihm jetzt manchmal unauffällig gleich und wenn sie das Haus verlässt oder betritt, nähert sie sich dem Objekt, mit vorsichtigem Abstand und macht eine kleine Geste in die Richtung des Ungetüms, und so tun es bald alle im Haus, nur Jonas nicht, der meint, er hat langsam genug von diesen foams, und nicht versteht, wieso sie sich schon den nächsten bestellt hat.

Es häufen sich die Meldungen derjenigen, die ein Interesse daran haben foams zu zerstören, beginnend bei den eigenen, denen der Eltern, diesen am liebsten, in rebellischen Akten zerhauen sie foams in öffentlichen Gebäuden, setzen sich darauf, sodass es den Schaum auf allen Seiten     , lehnen sich in die softe Masse, schreien hinein, in die ästhetischen Wolken, die es in viele Fuzeln zerfetzt, welche dann noch ästhetischer durch den Raum segeln und sich überall festkleben und dann an den Wänden trocknen. Am liebsten nehmen die sich die großen foams vor, die richtig teuren Prestigestücke und veröffentlichen Videos, die zeigen, wie erfinderisch sie in der Zerstörung dieser Objekte sind, derer es eigentlich nicht viel bedarf und manche mögen es auch simpel, manche verzichten auf die großen Gesten, die Ziegelsteine aus zwei Meter Höhe, manche machen es im Vorbeigehen, in einer sanften Geste, ein Windstoß, der reicht.

Doch auch von den anderen wird berichtet, von jenen, die foams umständlich zu bewahren versuchen. Die verschiedene Konservierungsverfahren entwickeln, Plexiglaskästen und Glasglocken waren erst der Anfang. Von jenen, die Klebergemische herstellen und jenen, die diese konsumieren. Es tauchen verschiedene Verfahren auf, welche die foams optisch nicht verändern, diese jedoch in ihrer Struktur fixieren, sodass sie, obwohl scheinbar unveränderlich fragil, der Materie eines porösen Steines gleichen.

Mit Jonas sieht sie sich ein Video von einem an, der aus Demonstrationszwecken den festgeklebten foam mehrmals aus dem ersten Stock wirft, die Stiege hinunterrollen lässt, ihm dann mehrere Tritte mit seinem trainierten Fuß versetzt, und zum Abschluss seine Kinder draufsteigen und den Kampfhund hineinbeißen lässt, wobei dieser sich das Gebiss ruiniert und trotzdem viel Freude daran hat und Jonas bekommt sich gar nicht mehr ein, wie dämlich das alles     , ob sie seine haben wolle, er werfe sie sonst weg, da er die Verpackungen nicht mehr habe und ein Verkauf auf einer Second-Hand-Plattform dadurch gar nicht mehr möglich sei. Wieso er sie nicht mehr haben möchte, will sie wissen und merkt, er ist gereizt und will nicht darüber reden, deutet nur an, dass ihm der Platz fehle und er sich in seiner Wohnung wieder frei bewegen will, ihm die Idee der foams gefalle, aber doch eben eigentlich vor allem die Idee. Außerdem, stört dich der Geruch nicht?, will er wissen und meint, die Naturgerüche des foam (soap) und foam (sugar) fände er in Ordnung, aber foam (sea) mache ihn ganz fertig.
Man gewöhnt sich daran, sagt sie und stimmt dann einer Umsiedlung seiner drei Objekte in ihre Wohnung zu. Seit dem Auspacken war ich denen nicht mehr so nahe, flüstert Jonas, als sie die foams behutsam durch den Gang tragen und sie zischt, dass er still sein soll, beobachtet voller Furcht das leichte Wabern der wolkigen Gebilde, die ihre Schritte abfedern und auf jede Bewegung reagieren.

Als sie für alle Stücke passende Plätze gefunden haben, sitzen sie erledigt am Sofa und halten sich still, worüber sie froh ist, da foam (sugar) nur etwa einen Meter vom Sofa entfernt auf einem Beistelltisch aus dunklem gebeizten Holz steht, den Jonas ihr dazu gegeben hat.
Ich habe noch nie einen in sich zusammenfallen sehen, also, außer in Videos, sagt sie, während sie die neuen Objekte in dem Wohnzimmer auf sich wirken lässt.
Eigentlich sehr unspektakulär, meint Jonas, wie beim Schneeschlagen, wenn du einen Kuchen machst, eine etwas zu feste Bewegung und du denkst noch, ach, da passiert schon nichts, und dann ist es schon passiert und du hast nur mehr eine traurige Masse vor dir.

Ihre Wohnung ist voll mit foams, sie stehen an allen freien Plätzen und inzwischen hat sie auch einen am Küchentisch. Jonas hat sie schon länger nicht mehr eingeladen, sie geht jetzt immer zu ihm rüber, oder sie treffen sich auswärts, weil sie sich seinen Blick vorstellen kann und auch gar nicht mit ihm über foams diskutieren will, sie eigentlich gar nicht mehr diskutieren und vor allem auch nicht ihn, mit seinen unvorsichtigen Bewegungen hier zwischen ihren foams haben möchte, sie überhaupt keinen mehr hier haben möchte, denn die Wege in ihrer Wohnung, die möglichen Bewegungen, will sie nicht erklären müssen. Es führt kein direkter Weg mehr durch ihre Wohnung, es bleibt nur ein schmaler Gang zwischen dem foam (sugar) und dem Couchtisch. Inzwischen hat sie eine Sensibilität dafür entwickelt und kann gut abschätzen, wie nahe sie einem foam kommen darf, nur so ist es ihr gelungen, dass bislang noch kein einziges ihrer Objekte zerfallen ist, obwohl immer neue hinzukommen.

Als sie einmal mit Jonas das Haus verlässt, um etwas essen zu gehen, sehen sie gerade noch, wie der letzte Teil des foam (sugar) im Hof vom Sockel rieselt und als sie dort sind, sind nur mehr schwarze Brösel zu sehen, wie Kohle nach einem Feuer. Sie waren zu weit entfernt und auch sonst kann sie keine Ursache ausmachen, was das Gerücht bestätigt, dass manche foams einfach so in sich zusammenfallen und man manchmal gar keinen Grund dafür finde, es reiche ein geöffnetes Fenster in einem anderen Zimmer.
Jonas sagt, schade, und meint, sie sollten nachher beim Friedrich läuten, und sie nickt und sagt, er hat recht, und während sie die gebratenen Nudeln in dem Lokal an der Ecke essen, sitzt ihr das Bild des dunklen Staubes im ganzen Körper fest und sie muss die Nudeln mühsam hinunterwürgen und nimmt sich vor, die Fenster möglichst nicht mehr unnötig zu öffnen.

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Anna Maria Stadler (*1992) hat Bildhauerei und Germanistik studiert und ist seit 2019 Doktorandin am interuniversitären Schwerpunkt Wissenschaft & Kunst in Salzburg, sowie Mitherausgeberin von archipel – Zeitschrift für Kunst, Theorie & Literatur. Sie veröffentlicht Texte in Literaturzeitschriften und Anthologien und erhielt AiR-Stipendien für Paliano/IT sowie die Schmiede-Akademie. Beim Münchner Kurzgeschichtenwettbewerb war sie Finalistin und beim Wortmeldungen-Förderpreis auf der Shortlist.

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