Wenn Sie nur ein Buch über Israel lesen – und Sie kennen vielleicht die Romane Eine Geschichte von Liebe und Finsternis von Amos Oz, Eine Frau flieht vor einer Nachricht von David Grossman oder Sari Nusseibehs Erinnerungen Es war einmal ein Land –, dann werden Sie in deutscher Sprache zurzeit kaum etwas Besseres finden als Mein gelobtes Land, das mit viel Herz und noch mehr Verstand geschriebene Geschichts- und Geschichtenbuch des israelischen Journalisten und Haaretz-Kolumnisten Ari Shavit.
Beginnend mit der Pilgerfahrt seines Urgroßvaters, der, aus England stammend, mit einer kleinen Gruppe früher Zionisten im Jahr 1897 – noch vor dem Zionistischen Weltkongress in Basel im selben Jahr – in das damalige Palästina kommt, umfasst das Buch bis in die unmittelbare Gegenwart über hundert Jahre zuerst zionistischer Geschichte und dann Geschichte des Staates Israel. Es ist kein „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, als die europäische Reisegruppe das Ziel ihrer Sehnsucht erreicht, Palästina ist besiedelt, auch wenn sich zu der Zeit nicht von einem palästinensischen Volk oder einem palästinensischen Nationalbewusstsein sprechen lässt.
Israel Zangwill schockierte das zionistische Publikum mit der Feststellung, dass Palästina bevölkert sei.
Auf dem Gebiet der osmanischen Provinz dieses Namens leben mehrere hunderttausend Araber, wahrscheinlich über eine halbe Million, bei wenigen Zehntausend Juden, und Ari Shavit staunt, wie sein Urgroßvater in seiner Hingerichtetheit auf eine Begegnung mit Gott so blind hatte sein können, kein Auge dafür zu haben und die Existenz von arabischen Städten wie Ramleh, Lydda oder Jaffa nicht wahrzunehmen, weil es sie in seiner Vorstellung ganz einfach nicht geben konnte. Einer der Mitreisenden ist klarsichtiger. Es ist der damals berühmte Schriftsteller Israel Zangwill, der Jahre später bei einer Rede in New York über diese Reise sprechen und mit der Feststellung, Palästina sei bevölkert, sein Publikum schockieren wird. Damit verstößt er gegen eine wesentliche zionistische Prämisse, und er wird aus der Bewegung vertrieben, aber er ist fortan einer der ersten, wenn nicht überhaupt der erste, der den Kern dessen, was die Welt noch heute als der israelisch-palästinensische Konflikt beschäftigt, unmissverständlich formuliert. Er sagt, wenn die „Söhne Israels“ das Land Israel in Besitz nehmen wollten, würden sie nicht umhinkommen, das wie ihre Vorväter mit dem Schwert zu tun.
Dieses Wissen und das Wissen um die Geschichte zweier seither tragisch ineinander verstrickter Völker steht auch im Zentrum von Ari Shavits Buch, das sich mit seiner Haltung eines melancholischen Pragmatismus so wohltuend von den Büchern der viel zu vielen Eiferer sowohl für die eine als auch für die andere Seite unterscheidet, die immer schon wissen, wo Recht und Unrecht liegen. Sie mögen berüchtigt dafür sein – Norman Finkelstein oder Max Blumenthal etwa hier, Alan Dershowitz federführend dort –, tragen mit ihren wütenden Attacken aber meistens wenig zu einem tieferen Verständnis bei, weil man bei der Lektüre ihrer Bücher immer den Eindruck hat, selbst da, wo sie recht haben mögen, sind die Fakten oft nur für den Beweis dessen arrangiert, was sie vorher schon wussten, und andere Fakten, die ihre feste Meinung erschüttern könnten, werden einfach ausgeblendet. Herauskommt ein Aufklärungsfuror, der keinen Blick für die eigene Blindheit hat, ein Bekenner- und Zelotentum, das manchmal eher psychologisch interessant ist als faktisch (weil man die Fakten dann ohnehin immer erst sortieren und gewichten muss), ein Sprechen mit rotem Schädel und Schaum vor dem Mund, ein einziges amerikanisches Gerichtssaaldrama, erstickend durch seinen auftrumpfenden Moralismus.
Kein Wunder, dass oft auch der Nazivergleich nicht weit ist, wenn diese Herrschaften losholzen, einmal für die eine, einmal für die andere Seite instrumentalisiert, je nachdem, ob es darum geht, Israel in Bausch und Bogen als faschistischen Unterdrückerstaat hinzustellen oder alle Kritiker Israels, unabhängig von ihren vielleicht stichhaltigen Argumenten, als Antisemiten.
Ari Shavit verfährt anders. Sein Ton ist ein Ton, gespeist aus Traurigkeit und Liebe und einem Optimismus bei allem Grund, pessimistisch zu sein, den ich am liebsten – wenn ich mehr davon wüsste – nahöstlich nennen würde und von dem ich mir vorstelle, dass man ohne ihn nicht auskommt, wenn man in Israel lebt. Es ist erstaunlich, wie erhellend bei ihm in manchen Situationen gerade die rhetorischen Fragen sind: „Was hätten wir anderes machen sollen?“ fragt er sich etwa am Ort des ehemaligen palästinensischen Dorfes Hulda, das im Unabhängigkeitskrieg ausgelöscht wurde und Platz machen musste für den Kibbuz Mishmar David, aber er fragt sich das auch für die andere Seite: „Was hätten sie anderes machen sollen?“ Das Dorf hatte vor Bekanntgabe des UN-Teilungsplanes für das damalige britische Mandatsgebiet Palästina im Jahr 1947 achtzehn Jahre lang in guter Nachbarschaft mit einer zionistischen Kommune gelebt, bevor es zu Feindseligkeiten gekommen war und Ben Gurion schließlich nach einem tödlichen Angriff auf einen jüdischen Versorgungskonvoi den entscheidenden Befehl zur Offensive gab.
„In the Middle East, a nation whose youngsters are not willing to kill and get killed for it is a nation on borrowed time.“
Für Leute, die wissen, wie man zu einem dauerhaften Frieden im Nahen Osten gelangt, mag das Fazit der beiden Fragen – „Was hätten wir anderes machen sollen?“, „Was hätten sie anderes machen sollen?“ – ernüchternd sein, aber
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