„Ich gebe zu, ich bin Partei. Ich finde Hellers Buch vom Süden ebenfalls missglückt.“ Das waren die ersten Sätze meines Leserbriefs an die Wiener Wochenzeitung Falter, der nie erschienen ist und auf den ich auch keine Antwort erhalten habe. Dass Leserbriefe aus Platzgründen nicht gebracht werden, ist normal im Zeitungsgeschäft. Aber in dieser Causa war das nicht der einzige nicht erschienene Text.
Begonnen hat die Geschichte, die Sandra Kegel in der FAZ inzwischen eine „Literaturbetriebsposse“ genannt hat, Anfang Mai mit einigen tendenziell negativen Rezensionen von Hellers Romanerstling in der Süddeutschen Zeitung (Cathrin Kahlweit), in der NZZ (Gerhard Melzer), in den Salzburger Nachrichten (Anton Thuswaldner), im Wiener Standard (Ronald Pohl), im Falter (Klaus Nüchtern) und in der FAZ (von mir). Nein, begonnen hat die Geschichte eigentlich schon Ende April, mit einer Eloge Ulrich Weinzierls in der Zeit. Darin trat der ehemalige Wien-Korrespondent der FAZ und der Welt gleichsam die Flucht nach vorn an: Er sei als Rezensent befangen, einerseits als André Hellers Verlagskollege bei Zsolnay, andererseits weil er dessen Roman dort lanciert habe. Es muss aber doch heraus – „hier sitze ich und kann nicht anders“ –, dass Heller „einen hervorragenden Roman“ geschrieben hat, „große Literatur“.
Dass der große Ulrich Weinzierl, dem ich dieses Epitheton allemal inniger gönne als Hellers Literatur, dass Weinzierl also tat, was man nicht tut, hat mich damals erstaunt, vielleicht noch mehr erstaunt hat mich sein Urteil. Weinzierl, der kluge, belesene, scharfsichtige, unbestechliche, maliziöse, witzige Weinzierl hält den Autor des Buches vom Süden für einen „Größenwahnsinnigen“ „mit zureichendem Grund“? Welche Verblendung.
Kakanische Erinnerungsseligkeit
Gewiss, Weinzierls Ruf war dadurch nicht ruiniert, aber ganz ungeniert lebte es sich für ihn doch. Wie anders wäre zu erklären, dass er auf Klaus Nüchterns, zugegeben, boshaften, aber wohlbegründeten Verriss im Falter mit einer Gegendarstellung reagierte? Die auch noch gedruckt wurde, nicht als Leserbrief, sondern als Artikel. Darin zieht er Nüchterns kritische Kompetenz in Zweifel, weil dieser den Wiener Demel eine „Konditorei“ nennt und den Roman irrtümlich „Das große Buch vom Süden“ und weil er zu spät geboren ist (1961), um Hellers kakanische Erinnerungsseligkeit vor der Folie „einer sehr besonderen altösterreichischen, durch jüdischen Witz geprägten Kultur und Literatur“ zu würdigen.
In meinem nicht erschienenen Leserbrief habe ich bezüglich Klaus Nüchterns Verriss geschrieben, der springende Punkt sei nicht die Verschiedenheit der Ansichten: „Ich wundere mich darüber, dass man das im Falter nicht einfach so stehen lassen kann, sondern durch die eigens eingeführte Form einer Rezensionsreplik abfedern muss. Am meisten wundere ich mich über Ulrich Weinzierl, dessen offenbar der Neigung, und nicht bloß der Pflicht entsprungene Verteidigung in jeder Hinsicht unter der Würde des exzellenten Kritikers ist, als den wir ihn kennen. Lassen wir einmal beiseite, dass er Klaus Nüchtern am Zeug flicken möchte, indem er eine nicht nur spitzfindige, sondern falsche Unterscheidung zwischen Konditorei und Zuckerbäckerei bemüht. Dass er ihm Hellers ‚äußerste Genauigkeit‘ als vorbildlich empfiehlt (wo doch dessen famoser Graf Eltz etwa mit einem falschen Nestroyzitat glänzt). Und dass er nicht sehen will, dass es dem Rezensenten nicht um das Sujet – die Welt der Tante Jolesch – ging, sondern um die Unzulänglichkeit der literarischen Mittel. Wirklich haarsträubend aber ist die Unterstellung, wer Heller tadle, paktiere mit der ‚Geschichtsvergessenheit‘, wer Heller nicht verstanden habe, laufe Gefahr, den falschen Bundespräsidenten zu wählen. Das ist die Fortsetzung der Kritik mit den Mitteln der politischen Diffamierung.“
Heller und die Stichwahl
Jetzt habe ich noch einmal nachgelesen. Da steht wirklich, in Anspielung auf die bevorstehende Stichwahl zwischen Norbert Hofer und Alexander van der Bellen: „In ungemütlichen Zeiten wie diesen, einer Geschichtsvergessenheit sondergleichen, ist mir und einigen anderen jemand wie André Heller wichtig. Ich denke sogar: Er ist für Österreich wichtig. Wer Das Buch vom Süden verstanden hat (das ist wohl leider eine Minderheitenfeststellung), kann am 22. Mai nicht den Falschen wählen.“ Was heißt denn das? Wohl nichts anderes, als dass Nüchtern das Buch nicht verstanden hat und also am 22. Mai deshalb den Falschen hätte wählen können.
Nun ist die Wahl trotz dem Beinahe-Total-Versagen der heimischen Literaturkritik für den Richtigen ausgegangen. Aber die moralische Erpressung, dass jemand, der Heller nicht gut findet, nicht nur geschichtsvergessen ist, sondern politisch auf der falschen Seite steht, hat doch einen üblen Nachgeschmack. Sie hätte zum Beispiel bei David Axmann, dem Nachlassverwalter Friedrich Torbergs, nicht verfangen. Der im Vorjahr verstorbene Letzte in der großen Wiener Tradition jüdischer Journalisten hat, das kann man in seinen Rezensionen und Parodien nachlesen, André Heller für einen Größenwahnsinnigen ohne zureichenden Grund gehalten.
Man könnte sagen: ein Sturm im Wasserglas – und es würde passen zu einem Land, wo nicht nur beim Demel das Glas Wasser zum Kaffee gehört. Aber die Vorgänge um die Rezeption des späten Heller-Debüts zeichnen auch ein Sittenbild des rot-weiß-roten Kulturbetriebs, zeigen, wie die FAZ es formulierte, dass „das System Österreich allemal lebendig, ja geradezu fidel ist“. Denn wie kann eine als „kritisch“ bekannte und anerkannte Wochenzeitung den eigenen Rezensenten, seit langen Jahren einen der wichtigsten Autoren des Blattes, so desavouieren? Wie kann sie die Autorität seiner Kritik und damit ihre eigene untergraben, um einer Stimme Raum zu geben, die sich bereits an prominenter Stelle ausführlich artikuliert hat?
Das alles war aber noch gar nichts gegen Die Presse. Für deren Feuilleton-Beilage „Spectrum“, von vielen für die beste des Landes gehalten, hat der Grazer Philosoph Peter Strasser eine maßvoll spöttische Besprechung des Heller’schen Opus verfasst. Der Chefredakteur ließ sie sich vorlegen und befand, dass dergleichen nicht im „Spectrum“ erscheinen dürfe. Strasser zog den Text zurück, um seinem Redakteur den Konflikt zu ersparen. Und im Standard wollte noch der ehemalige ORF-Journalist Peter Huemer dem allzu respektlosen Rezensenten Ronald Pohl den Marsch blasen, verschob seine Lektion dann aber auf eine spätere Gelegenheit der Heller-Huldigung.
Es muss wohl, dieses Eindrucks kann man sich nicht erwehren, in diesem Land etliche Leute geben – und einige davon an den Schalthebeln der Medienmaschine –, denen, sagen wir, das Wohl André Hellers ganz besonders am Herzen liegt. Angeblich gehört auch der neue Bundeskanzler zu ihnen. So gesehen bekommt Ulrich Weinzierls Feststellung, dass ihm „und einigen anderen jemand wie André Heller wichtig“ sei, den Charakter einer Drohung.
Die Bereitschaft mancher Journalistinnen und Journalisten, sich für den ohne Frage charmanten Alleskünstler ins Zeug zu legen, wird durch persönlichen Kontakt naturgemäß noch gestärkt; zumindest nimmt die Lust, sich seinem Wirken ohne angemessene Ehrerbietung zu nähern, solcherart deutlich ab. Von jenen Auserwählten, die André Heller wenige Wochen vor dem Erscheinungstermin des Buches vom Süden in denselben, nämlich nach Marrakesch, geladen hat, um ihnen dort seinen neuen Paradiesgarten „Anima“ zu zeigen, bekam er jedenfalls erwartungsgemäß nicht die ganz harten Worte über seinen Roman zu lesen. Das wusste schon Marie von Ebner-Eschenbach: „Freundlichkeit kann man kaufen.“
Und die Freiheit der Presse? Die ist nie in Gefahr. Der weit, weit vorauseilende Gehorsam bekommt sie ja niemals zu Gesicht. Majestätsbeleidigung wird im Lande Österreich gar nicht erst vor Gericht gebracht. Sensible Geister erspüren, wo Sakrosanktes bedroht sein könnte und greifen zartfühlend rechtzeitig ein. Die österreichische Presselandschaft präsentiert sich dem befreundeten Ausland als gartenarchitektonisch ansprechendes Sumpfgelände.