In Syrien

Norbert Gstreins Kolumne „Writer at Large“.

Online seit: 8. November 2015

Oft denke ich dieser Tage an Maram und ihren Vater und was wohl aus ihnen geworden ist im jetzt schon über vier Jahre währenden und immer unüberschaubarer und grausamer werdenden syrischen Krieg, in dem es für die Bevölkerung keine andere Wahl gibt als Flucht oder leben – und sterben – unter verschiedenen Arten des Terrors. Wir hatten uns ein Sammeltaxi von Amman nach Damaskus geteilt, eine Zufallsbekanntschaft für die gar nicht so lange Fahrt von knapp zweihundert Kilometern.

Bei der Ankunft brachte uns der Fahrer nicht ins Stadtzentrum, und wir mussten von der offiziellen Haltestelle in den Außenbezirken mit einem anderen Wagen weiter. Sie ließen es sich nicht nehmen, mich bis zu meinem Hotel zu bringen, und stiegen beide aus, um sich zu verabschieden. Ich habe immer noch in Erinnerung, wie sie dann dastanden, Vater und Tochter, sie vielleicht fünfzehn, ein mageres Mädchen mit Kopftuch und einem Mantelkleid mit der Aufschrift STAR in goldenen und silbernen Glitzerbuchstaben, er um die vierzig, ein Ingenieur, der für eine Baufirma arbeitete und mit seinem Schnurrbart und den filterlosen Zigaretten, die er rauchte, einem Schwarzweißfoto vor hundert Jahren hätte entstiegen sein können.

Ich hatte ihnen auf der Fahrt von den Wintern in Tirol erzählt und vom Schnee, der in meinem Heimatdorf bis in den Mai hinein lag, und umgekehrt schnell gelernt, welche Fragen ich stellen konnte und welche –  nach der Lage des Landes – ich besser gar nicht erst aussprach, weil sie unbeantwortet bleiben würden. Wir gingen im Bewusstsein auseinander, dass wir uns nicht wiedersehen würden. Sie hatten mir Datteln, Feigen und Limonade angeboten und bestanden darauf, dass ich für das letzte Teilstück der Strecke nicht zahlte. Der Vater wollte nichts davon hören, und wir inszenierten einen veritablen Streit um die paar syrischen Pfund, bis er meinte, ich könne mich ja revanchieren, wenn sie nach Deutschland kämen. Wir vergaßen, unsere Adressen auszutauschen, oder vielmehr, wir tauschten sie nicht aus, weil wir wussten, wie unwahrscheinlich das wäre. Für sie war Deutschland zu der Zeit nicht ein Ort, wohin jemals zu gelangen sie sich vorstellen konnten, und ich würde nach diesem ersten Mal sicher auch so bald nicht wieder nach Syrien reisen.

Es war im Jahr vor Beginn des Krieges dort. Ich war von Hamburg nach Amman geflogen, mit einem Zwischenstopp in Budapest, und um 3 Uhr am Morgen angekommen. Der Bus, der mich zu der Haltestelle für die Sammeltaxis nach Damaskus bringen sollte, würde erst um 6 Uhr oder 6 Uhr 3o fahren, und die drei Stunden bis dahin verbrachte ich in der Ankunftshalle des Flughafens. Eine Weile herrschte noch ein reges Kommen und Gehen, ganze Familien, die eintrafen, ganze Familien, von denen sie abgeholt wurden, und dann saß ich allein mit ein paar verlorenen Gestalten vor dem Eingang zu den Toiletten. Dort ging es auch zu den Gebetsräumen für die Reisenden, und bis ich schließlich auf meinem Sessel einnickte, unterhielt ich mich damit, mir von jedem Vorbeigehenden auszumalen, ob er auf dem Weg war, die Notdurft zu verrichten oder seine Gebete.

Der Busfahrer fuhr dann wie ein Verrückter in die aufgehende Sonne hinein. Bei offenen Fenstern flatterte der Fahrtwind in den Ohren, und wenn er bergab auf einen tonnenschweren Sattelzug zuschoss und erst im letzten Augenblick bremste, schien das Gefährt kurz davor, in alle Teile zu zerspringen. Meine Mitreisenden waren fast ausschließlich junge Männer, die das nicht im geringsten berührte, während ich schon nassgeschwitzt war, als wir an der Haltestelle für die Sammeltaxis ankamen. Ich war froh, mich mit Vater und Tochter arrangieren zu können und mich nicht in einen der anderen Wagen quetschen zu müssen, in denen fünf, manchmal sechs Männer um jeden Quadratzentimeter kämpften. Ich zahlte für zwei Plätze, sie zahlten für drei, und schon waren wir auf dem Weg. Wir hatten die Autobahn noch nicht erreicht, als Maram mich fragte, was ich allein in Syrien wolle, und ich brauchte nur ihre Augen zu sehen, um zu wissen, dass ich ihr darauf keine befriedigende Antwort geben konnte.

Ich erzählte etwas von der Wüste, aber die Wüste gab es auch anderswo, und niemand musste dafür diesen Paria-Staat mit seinem finsteren Regime und seinen zwielichtigen politischen Allianzen bereisen. Als ich verstummte, fing ich wieder ihren Blick auf, der zwischen Neugier und Unglauben schwankte. Wenn es nicht gar so unwahrscheinlich gewesen wäre, hätte ich für sie vielleicht ein Geheimpolizist sein können, so unsinnig hörten sich meine Erklärungen an.

An der Grenze angekommen, kümmerte sich der Fahrer um die Papiere, und ich stand hinter ihm in der Schlange und staunte über die verschiedenen Kategorien für die Einreise. Es gab einen Schalter für „Foreign Arrivals“, einen für „Diplomat“, je einen für „Syrian“, für „Jordanian“, für „Arab“ sowie für „Women“ und für „Businessmen“ – und den ganzen Wirrwarr selbstverständlich auch auf Arabisch, worin er kaum mehr Sinn ergeben konnte.

Maram und ihr Vater nutzten die Wartezeit, um in einem Duty-Free-Laden Einkäufe zu machen, und dann schleppte auch der Fahrer zwei riesige Plastiktaschen mit Zigaretten herbei. Er lockerte mit ein paar schnellen Griffen den Rücksitz seines Wagens und verstaute ein gutes Dutzend Stangen darunter. Dann befestigte er fünf weitere mit Klebeband an seinem Körper und zog bei sicher schon dreißig Grad im Schatten sein Blouson aus Wildleder-Imitat darüber, schloss den Reißverschluss bis zum Hals und sah damit aus wie das Micheline-Männchen aus der Werbung. Je eine Stange drückte er Vater und Tochter sowie mir in die Hand, und so fuhren wir im Schritttempo auf den Grenzposten zu.

Mir schoss durch den Kopf, dass ich vielleicht gerade dabei war, eine große Dummheit zu begehen, schließlich wusste ich nicht, was ich da in Empfang genommen hatte, aber dann traf mich wieder Marams Blick, die ihr Mitbringsel nachlässig neben sich liegen hatte, und ich bildete mir ein, dass sie spöttisch lächelte, als könnte sie meine Gedanken lesen und wollte sich lustig über meine Angst machen. Ein Uniformierter forderte uns auf auszusteigen, ein anderer ging zweimal gebückt um das Auto herum, beide mit verspiegelten Sonnenbrillen, aber sie interessierten sich nicht weiter für den Fahrer, der unter seinem Blouson einen Sprengstoffgürtel hätte tragen können, und wollten nur einen Blick in mein Gepäck werfen: Unterwäsche für zwei Wochen, ein paar Hemden, die beiden Bücher, die sie herausfischten.

Ich hatte Die sieben Säulen der Weisheit von T. E. Lawrence sowie eine Biografie über Jean Louis Burckhardt dabei, den Schweizer Entdecker, der Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in englischen Diensten von Damaskus beziehungsweise Aleppo aus unter der Identität eines arabischen Geschäftsmannes bis Mekka und Medina vorgestoßen war. Auf dem Weg dorthin sollte er der erste Europäer sein, der ins jordanische Petra kam, nachdem es sechs Jahrhunderte lang für die westliche Welt verloren gewesen war, und allein den Nil hinaufreisend gelangte er bis weit nach Nubien und entdeckte die Kolossalstatuen von Abu Simbel. Er wollte sich später in Kairo einer Karawane von der Hadsch zurückkehrender Pilger anschließen und mit ihr auf der maghrebinischen Route quer durch die Sahara Timbuktu erreichen, verstarb aber in seinen frühen Dreißigern 1817 in Kairo an der Ruhr, acht Jahre nachdem er zu seiner großen Reise aufgebrochen war und ohne seine Heimat jemals wiedergesehen zu haben.

Einer der beiden Uniformierten verschwand mit den Büchern und kam erst nach mehr als einer Viertelstunde wieder. Er sagte nichts zu dem Buch über Jean Louis Burckhardt, das den Titel Desert Traveller trug, aber er deutete anerkennend auf Die sieben Säulen der Weisheit und meinte in seinem rudimentären Englisch „Lawrence of Arabia“, und wir wurden weitergewinkt. Das Auto musste noch einmal über einer wannenartigen Vertiefung im Boden anhalten, wo Unterboden und Reifen besprüht wurden, angeblich mit einem Desinfektionsmittel gegen Schweinepest, und schon rollten wir in das Land, das damals nach einem Verdikt von George Bush zur Achse des Bösen gehörte und ein Schurkenstaat war, aber noch lange nicht die Hölle auf Erden, als die es sich seither erwiesen hatte.

Assad war zu der Zeit genau zehn Jahre an der Macht, und die Hoffnungen auf eine Öffnung Richtung Westen, die anfangs mit seinem Namen verbunden gewesen waren, hatten sich zerschlagen. Der Vorwurf Amerikas lautete, dass sich irakische Aufständische mehr oder weniger frei auf syrischem Territorium bewegen konnten und dass Islamisten aus aller Welt, die sich den Kämpfern anschließen wollten, bei der Einreise auf dem Flughafen von Damaskus nicht entsprechend kontrolliert würden. Dazu kam die Unterstützung der israelfeindlichen Hisbollah. Ich hatte gerade erst in Amann in einem herumliegenden Exemplar der Jordan Times einen Artikel gelesen, in dem es um eine Lieferung von Scud-Raketen mit größerer Reichweite und größeren Sprengköpfen an die Terrorgruppe ging. Darin wurde auch an einen Besuch des iranischen Präsidenten bei seinem Gesinnungsgenossen in Damaskus früher im Jahr erinnert, bei dem die beiden Herrscher ihre unverbrüchliche Zusammenarbeit gegen alle „Manipulationen durch den Westen“ bekräftigt hatten.

Es gab keinen Grund zu zweifeln, dass der auf Fotos schüchtern wirkende Mann – mit immerhin einer Ausbildung zum Augenarzt und sogar ein paar Studienjahren in London in seiner Biografie – ein Diktator reinsten Wassers war, und ich durfte mich nicht wundern, von meinen Mitreisenden keine Auskunft über ihn zu bekommen. Auf der Autobahn dauerte es immer nur ein paar Kilometer, bis man wieder mit seinem Bild konfrontiert wurde, an einer Hauswand, einer Brückenüberführung oder einer eigens angebrachten Schautafel, immer das gleiche Gesicht mit dem schwachen Kinn und den kalt intelligenten Augen, manchmal Seite an Seite mit seinem Vater, als sollte der, härter und männlicher aussehend, zehn Jahre nach seinem Tod immer noch den Machtanspruch des vermeintlichen Weichlings beglaubigen. Die Bilder mussten einem das Gefühl geben, unter andauernder Beobachtung zu stehen, und wenn Maram neugierig auf meine Reaktion war, schien es ihrem Vater peinlich zu sein wie einem Kind die Anwesenheit überfürsorglicher Eltern mit gestrigen Vorstellungen von Moral und Gehorsam.

Den ganzen Nachmittag und den halben folgenden Tag verbrachte ich in der Omayaden-Moschee. Dort sah ich lange einem Imam zu, vor dem die Leute Schlange standen, um ihm die Hand zu küssen, bevor er Platz nahm und zu predigen begann. In einem lockeren Kreis um ihn scharten sich junge Männer in Koranschüleraufmachung, das heilige Buch vor sich im Schoß. Um sie war eine Absperrung aus Seilen gezogen, die zuerst von einer Frau, dann von noch einer und dann von einem ganzen Schwarm, fünf oder sechs Frauen in schwarzen Burkas, durchbrochen wurde. Sie warfen sich dem Imam zu Füßen und lagen dann da, undefinierbare Kleiderhaufen, unter denen ich keinen Menschen vermutet hätte, wäre ich nicht Zeuge dieses Vorstoßes gewesen, und die später im Hof der Moschee eine groteske Entsprechung fanden, als ein Vogel direkt vor mir auf das Pflaster klatschte und in ein paar winzigen Bewegungen sein Leben auszuckte. Während Ordner erschienen und die Frauen in ihren Bereich zurücktrugen, tauchten schon die nächsten auf und drangen in wilder Unterwerfung und Hingabe über die Seile vor, manche von ihnen schrille Laute ausstoßend.

Ich war indessen auf eine andere Frau aufmerksam geworden, die, an eine Säule gelehnt, in der Nähe des Schreins Johannes des Täufers saß. Auch sie trug eine Burka, und der Stoff vor ihren Augen war so dicht gewebt, dass sie in dem Dämmerlicht, das von draußen hereinfiel, kaum etwas sehen konnte. Dennoch hatte sie den Koran in der Hand und las darin oder gab es wenigstens vor, womöglich kannte sie den Text auswendig. Ich ließ sie nicht aus dem Blick und schaute zu, wie sie nach einer scheinbar genau bemessenen Zeit die Seiten umblätterte, während neben ihr ein fünf- oder sechsjähriges Mädchen stand, das mit beiden Händen seine Augen zuhielt und nur manchmal zwischen den Fingern hervorblinzelte.

Davor schon war ich in dem Säulengang vor dem Schrein Husseins auf eine Gruppe von vielleicht zwanzig schwarzgekleideten und ganz und gar verhüllten Frauen gestoßen, die sich wie in Trance in rhythmischen Bewegungen immer heftiger gegen die Brust schlugen und sich dann schluchzend und weinend auf das Grabmal stürzten. Dabei blieb alle Zeit, Handys hervorzuziehen und Fotos von der eigenen Verzweiflung und der Verzweiflung der anderen über das tragische Schicksal des angebeteten Sohnes von Ali und Enkels von Mohammed zu machen. Es handelte sich um eine Pilgergruppe aus dem Iran, wie an dem Fähnchen des Reiseleiters zu erkennen war, und ich sah die Frauen wenige Stunden später telefonierend, fotografierend und lachend vor dem berühmten, in jedem Reiseführer erwähnten Eisladen im Suk wieder. Sie hatten riesige Waffeln gekauft und hoben ihre Gesichtsvorhänge mit einer Hand an, um sich die Leckerei mit der anderen in den Mund zu schieben, ohne dass das zu größeren Kalamitäten führte.

Vor der Moschee kam ich ins Gespräch mit einem jungen Palästinenser. Er zeigte mir das Minarett, von dem Jesus beim Jüngsten Gericht das Ende der Welt verkünden sollte, und erklärte seine angebliche Begeisterung für Österreich mit Mozart, Schwarzenegger und Waldheim, für den er ungefragt die Begründung anführte, „weil er die Juden nicht mochte“. Währenddessen versuchte er, mich in ein Teppichgeschäft zu lotsen, und ich wurde ihn erst los, als ich ihm hoch und heilig versprach, am nächsten Tag mit meiner Kreditkarte wiederzukommen.

Die Vorstellung, mir andere Sehenswürdigkeiten anschauen zu müssen, erfüllte mich mit der elenden Leere eines toten Sonntagnachmittags, und nachdem ich wenigstens noch den Bahnhof der längst aufgelassenen Hedschasbahn für die Pilger nach Mekka und Medina aufgesucht hatte, lief ich ziellos in den Außenbezirken von Damaskus umher. Je weiter ich aus dem Stadtzentrum hinauskam, umso martialischer erschienen mir die Bilder von Assad, und an den Wänden eines Viertels prangte sein Kopf mehrfach neben dem von Hassan Nasrallah, dem Führer der Hisbollah. Dort wurde ich von einer wie aus dem Nichts auftauchenden Motorkavalkade an eine Hausmauer gedrängt, Polizeifahrzeuge mit Blaulicht und eine schwarze, russische Limousine, die in hohem Tempo durch die abgesperrte Gasse schossen, aber es war beim besten Willen nicht herauszufinden – Passanten gab es plötzlich keine mehr, und ich fragte drei Polizisten –, welcher Würdenträger sich hinter den abgedunkelten Scheiben befand.

Am Tag darauf saß ich im Bus nach Palmyra hinter vier kaftantragenden jungen Männern mit mächtigen Prophetenbärten, die sich in einem Englisch mit elitär britischem Akzent unterhielten. Ich versuchte, ihr Gespräch zu belauschen, aber sie wurden auf mich aufmerksam und flüsterten nur mehr. Dem Taxifahrer, der mich zur Haltestelle gebracht hatte, hatte ich erzählt, ich wolle bis Deir ez-Zor fahren, um dort den Euphrat zu sehen, aber ich hatte mir von ihm abraten lassen, ein Alleinreisender würde in der Gegend zu sehr auffallen, und versank jetzt wieder in einer mich sanft einlullenden Anonymität, nachdem ich gerade noch beim Ticketkauf alle Blicke auf mich gezogen hatte.

Draußen, kaum außerhalb der Stadtgrenzen von Damaskus, flog ein französischer Militärfriedhof vorbei, wenig später ein wild rauchendes Fabrikskonglomerat, einzelne Gebäude in jedem Zustand zwischen Fertigstellung und Verfall, und in der Wüste waren es dann immer wieder kleine Gruppen von Leuten, die auf kein Ziel hin unterwegs zu sein schienen, Zelte, ganze Zeltlager, in der Ferne einmal der Tausendfüßler einer qualmenden, finster-schwarzen Eisenbahn und auf der Straße entgegenkommend Lastwagen und Busse. Es war früher Nachmittag, als wir die Oasenstadt erreichten, und auch wenn ich natürlich darüber gelesen und Bilder gesehen hatte, nichts konnte mich vorbereiten auf die Erhabenheit einer kilometerlang in die Wüste hinausführenden römischen Säulenallee.

Ich war vom Hotel direkt zum Ruinengelände gegangen und lief jetzt in der zunehmenden Empfindung, nie etwas Schöneres gesehen zu haben, zwischen Baal-Tempel, Baal-Schamin-Tempel und dem Camp des Diokletian hin und her. Dort sah ich auch die vier jungen Männer aus dem Bus wieder, die verstummten, als ich mich näherte, und ostentativ hinter mir her sahen, kaum dass ich an ihnen vorbei war.

Die Sonne stand noch hoch, als ich die drei oder vier Kilometer zur arabischen Zitadelle hinaufstieg, die auf einer Erhebung über der Stadt thronte. Schon davor waren immer wieder Souvenirverkäufer auf ihren Mopeds auf mich zugesteuert, und jetzt folgte mir im Zickzack einer aus dem Zeltlager, an dem mein Weg vorbeigeführt hatte. Das Knattern des Motors war in alle Himmelsrichtungen zu hören, und er winkte mir, einhändig fahrend, im Näherkommen unaufhörlich zu. Ich kaufte ihm eine „garantiert echte, garantiert antike“ Münze mit dem Bildnis von Zenobia ab, der Königin der Wüste, und er fuhr wieder zurück, während ich die letzten Meter in Angriff nahm und nicht wusste, woher plötzlich all die Geräusche kamen, Stimmen in der Luft, das Knirschen von Autoreifen im Geröll, Vogelgeschrei.

Ich setzte mich hin und ließ meinen Blick weit nach Süden und Osten schweifen, wo irgendwo in der Leere die irakische Grenze verlief. Unter mir waren deutlich die Ränder der Oase mit den Palmenplantagen und das Ruinengelände zu sehen, alles in allem ein kleiner Fleck nur, in dem irgendwo auch die berüchtigten unterirdischen Foltergefängnisse des Regimes liegen mussten.

Norbert Gstrein, geboren 1961, lebt als freier Schriftsteller in Hamburg. Zuletzt veröffentlichte er im Hanser Verlag die Romane Die ganze Wahrheit (2010) und Eine Ahnung vom Anfang (2013).

Dieser Beitrag erschien zuerst in VOLLTEXT 3/2015.